Chemnitz bezeichnet sich gern als die Stadt der Moderne. Es gibt viele Chemnitz Sehenswürdigkeiten und zahlreiche Bauten aus der Zeit, als Chemnitz noch Karl-Marx-Stadt hieß. Aber kaum etwas sticht so heraus wie die Bauten aus der Zeit der Moderne. Und in der Tat gibt es hier so viele modernistische Gebäude wie in kaum einer anderen Stadt in Deutschland. Auch wenn die Chemnitzer Gebäude nicht dem Bauhaus zuzurechnen sind, sind einige von ihnen doch sehr markant und richtungsweisend gewesen. Deshalb wollen wir euch auf einen Spaziergang durch die Chemnitz Moderne nehmen.
Villa Esche
Die Villa Esche ist einer der wichtigsten Vorläufer modernistischen Bauens in Chemnitz. Sie wurde 1902 von Henry van der Velde für den Textilfabrikanten Herbert Eugen Esche entworfen. Van der Velde wurde 1905 Gründer und Direktor der Kunstgewerbeschule in Weimar, aus der nach dem Ersten Weltkrieg das Bauhaus hervorging. In der Villa Esche kann man einige Prinzipien des Bauhauses erkennen. Sie ist ein Gesamtkunstwerk und ihre Form ist nicht nur der Schönheit, sondern auch der Funktion verpflichtet.
Wirkbau
Eines der beeindruckendsten und schönsten Gebäude ist der sogenannte Wirkbau. Besonders der Glockenturm mit seiner markanten Form sticht dabei sofort ins Auge. Er wurde mit den umliegenden Gebäuden 1927 nach Plänen des Architekten Erich Basarke errichtet. Hier wurden noch bis 1993 Maschinen für die Textilproduktion gebaut. In den letzten Jahren wurde das Areal saniert und revitalisiert. So repräsentiert es wie kaum ein anderes die Chemnitz Moderne. Mittlerweile gibt es hier rund 50 Firmen und Bildungseinrichtungen mit ca. 1400 Beschäftigten und das Restaurant NOMAD lädt zum Essen ein.
Stern-Garagen (Museum für Fahrzeuggeschichte)
Die Stern-Garagen sind eine der ältesten Hochgaragen in Deutschland und wurden 1928 im Bauhaus-Stil in Chemnitz errichtet. Damals war Chemnitz eine rasant wachsende Industriestadt und immer mehr Bürger konnten sich Automobile leisten. In den engen Städten der damaligen Zeit gab es jedoch kaum Platz. Daher wurden die ersten Hochgaragen geplant. Die Stern-Garagen waren gar fünfgeschossig.
Später sollte die Zwickauer Straße, an der die Garage liegt, eigentlich hinter dem Gebäude verlaufen. Dazu kam es aber nicht. Die geplante repräsentative Front ist daher heute die Rückseite. Im Gebäude befinden sich heute ein Möbelladen und das Museum für Sächsische Fahrzeuge. Dort werden einige der schönen Fahrzeuge ausgestellt, die ebenfalls in die Chemnitz Moderne gehören.
Stadtbad
Für mich ist es eines der schönsten modernistischen Gebäude in Chemnitz: das Stadtbad. Die Bauarbeiten für das Bad begannen bereits 1929. Jedoch wurde es erst 1935, also schon während der NS-Diktatur, eröffnet. Entworfen vom Chemnitzer Stadtbaudirektor Fred Otto, gehörte es nicht nur vom Baustil her zu den modernsten Bädern Europas. Es wurde mehrfach saniert, steht allerdings bei Hochwassern häufig unter Wasser. Für 3,50 Euro könnt ihr hier übrigens schwimmen wie in den 1920er-Jahren.
Museum Gunzenhauser
Ein anderes Gebäude von Fred Otto ist die ehemalige Sparkasse am Falkeplatz. Das siebenstöckige Gebäude diente ab 1930 als Hauptsitz der Chemnitzer Sparkasse. Seit 2007 beherbergt das Gebäude das Museum Gunzenhauser. Der Münchner Galerist und Kunstsammler Alfred Gunzenhauser vermachte seine Sammlung mit fast 2500 Werken der Stadt Chemnitz, da diese dafür ein Museum zur Verfügung stellte. Rund 300 Werke werden dauerhaft ausgestellt. Teil der Sammlung sind auch fast 300 Werke von Otto Dix – das ist die größte Sammlung seiner Werke überhaupt. Ihm ist das gesamte 3. Stockwerk des Museums gewidmet. Auch Werke von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Gabriele Münter und Max Beckmann werden hier ausgestellt.
Jugendherberge Eins
Das ursprüngliche Umspannwerk für die Chemnitzer Straßenbahnen wurde bereits 1908 errichtet. Der moderne Bau, in dem ihr heute in einer Jugendherberge übernachten könnt, entstand durch Umbauten 1924 und 1929 nach den Entwürfen von Friedrich Wagner-Poltrock. Zu DDR-Zeiten war der Bau der Sitz des städtischen Energieversorgers. Ab 2009 wurde das Gebäude der Chemnitz Moderne renoviert und ist nun Heimstatt einer Jugendherberge.
Industrieschule
Friedrich Wagner-Poltrock zeichnet auf verantwortlich für den Bau der Industrieschule Chemnitz am Park der Opfer des Faschismus. Nachdem er 1924 einen Architekturwettbewerb mit dem Entwurf gewonnen hatte, wurde sie 1926 bis 1928 errichtet. Er griff einige der progressivsten Gestaltungsweisen für Schulen auf, die zur damaligen Zeit aufkamen und setzte sie im Gebäude um. An der Außenfassade des verklinkerten Gebäudes sind auch noch einige Merkmale des Expressionismus zu sehen. Der Chemnitzer Künstler Gustav Schaffer fertigte ein über sechs Meter breites Wandgemälde „Der schaffende Mensch“, das heute wieder im Gebäude aufgehängt ist.
Das Tietz
Das Tietz wurde 1912/1913 nach Plänen von Wilhelm Kreis errichtet, der unter anderem auch das Hygienemuseum in Dresden und den Bahnhof in Meißen entwarf. Es war eines der bedeutendsten Kaufhäuser der Stadt. Die jüdischen Besitzer wurden in der NS-Zeit enteignet und der Chemnitzer Tietz-Direktor Hermann Fürstenheim gar von den Nazis bei den Novemberpogromen als erstes Opfer ermordet. Im Krieg wurde das Kaufhaus zerstört und erst von der DDR-Regierung in der 1960er Jahren wiederaufgebaut. Danach diente es als Centrum-Warenhaus, bis es 2004 geschlossen und zum Kulturkaufhaus umgebaut wurde.
Kaufhaus Schocken
Das Kaufhaus Schocken ist eines der schönsten Kaufhäuser Deutschlands. Es wurde 1930 errichtet und vom Architekten Erich Mendelsohn geplant. Schocken-Kaufhäuser gab es einige, aber das Chemnitzer Schocken ist eines der schönsten. Heute beherbergt es das Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz (smac) und konnte so vor dem Leerstand gerettet werden.
Hotel Chemnitzer Hof
Das Hotel Chemnitzer Hof ist ein Hotelbau von Heinrich Straumer. Straumer wurde in Chemnitz geboren und baute viele Gebäude in Berlin, von den der Berliner Funkturm an der Messe das bekannteste ist. Der Chemnitzer Hof wurde von 1929 bis 1930 in Chemnitz am Theaterplatz errichtet. Es gilt als ein Werk der gemäßigten Moderne. Zu Zeiten, als Chemnitz noch Karl-Marx-Stadt heiß, fanden hier viele Tanzveranstaltungen statt.
Cammann-Hochhaus
Das erste Hochhaus von Chemnitz gehörte zur Weberei Cammann. Chemnitz war eine Textilstadt und die Cammann-Weberei gehörte zu den größten der Stadt. Mit dem Verwaltungsbau wollte die Weberei diesem Selbstbewusstsein Geltung verschaffen. Daher war es nur konsequent, einen modernistischen Architekten wie Willy Schönefeld mit der Planung des Gebäudes zu beauftragen. Das Hochhaus wurde dann von 1923 bis 1926 gebaut und misst heute über 40 Meter. Das Cammann-Hochhaus mit seinen spitzen Winkeln ist dabei eine Reminiszenz an den Expressionismus. Heute beherbergt das Gebäude einige Büros.
Landgericht Chemnitz am Kaßberg
Das Landgericht ist ebenfalls ein Gebäude der Chemnitz Moderne. Bisher konnte ich jedoch nicht herausfinden, wer es gebaut hat. Denn ich bin hier nur zufällig vorbeigekommen, als ich mir das Karl-Schmidt-Rottluff-Gymnasium daneben angeschaut habe und dann noch zum Kaßberg-Gefängnis schauen wollte. Der Klinkerbau ist definitiv in den Zwanziger Jahren entstanden und ähnelt der Industrieschule von Friedrich Wagner-Poltrock.
Kaßberg – Jugendstilbauten
Mit der Industrialisierung entstanden in Chemnitz mehr und mehr Fabriken. Dadurch stieg die Luftverschmutzung und die gehobenen Schichten der Chemnitzer wollten in eine Gegend mit besserer Luft ziehen. So entstand eine neue Siedlung auf dem Kaßberg und mit ihr eines der schönsten Viertel mit Häusern aus der Gründerzeit und dem Jugendstil. Auch wenn diese nicht direkt Teil der Moderne sind, so sind die Gebäude doch ebenso eng mit den Bürgern der Stadt und der Industriegeschichte verbunden. Besonders sehenswert bei einem Spaziergang sind die Majolika-Häuser (Barbarossa-Straße 48–52), die Kyffhäuser-Burg (Hübschmannstraße 19) und die Märchenhäuser (Gustav-Adolf-Straße 23–25).
Weitere interessante Gebäude der Chemnitz Moderne
- Lagerhaus Fa. Emden & Söhne (Glockenstraße 1) – Wagner-Poltrock zeichnet auch für diesen Bau aus dem Jahre 1926 verantwortlich.
- Wohnhaus Max Feistel (Kesselgarten 3) – Max Feister war ein perfekter Vertreter der Chemnitz Moderne und setzte diese auch in seinem eigenen Wohnhaus um.
- Astra-Zentrale (Altchemnitzer Straße 41) – Industriegebäude, das von Willy Schönefeld im Stil der Neuen Sachlichkeit errichtet wurde.
Buchtipps
- Nitsche, Jürgen (Autor)
Der Titel sagt bereits alles: In Chemnitz wurden zahlreiche wegweisende Bauten der Moderne realisiert, ohne dass diese vom Bauhaus beeinflusst wurden. Welche Bedeutung dabei jüdische Unternehmer hatten, zeigt dieses Buch.
Der liebevoll geschriebene Band stellt 99 besondere Orte vor, darunter auch viele Gebäude der Moderne, und ist für Chemnitzer wie für Touristen eine gute Wahl.