Bestenfalls eine „Zollstation“ zu sein, beschieden Zeitgenossen Czernowitz, als dieses 1774 im Zuge der Eroberung der Bukowina durch die Habsburger an Österreich fiel. Doch die Zugehörigkeit zum Vielvölker-Imperium sollte ein Glücksfall für Czernowitz werden. Denn mit den Österreichern kam Leben in die Gegend. Auch immer mehr Juden siedelten sich in Czernowitz an. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das jüdische Czernowitz allein schon eine mittlere Kleinstadt. Deshalb gehen wir heute auf Streifzug durch ein wunderbar jüdisches Czernowitz.
Sprache im jüdischen Czernowitz
Viele der Czernowitzer Juden sprachen Deutsch, so dass ab Mitte des 19. Jahrhunderts Deutsch die dominierende Sprache in der multikulturellen Metropole war. Gleich vier deutschsprachige Zeitungen wurden in Czernowitz herausgegeben: die Czernowitzer Zeitung, die Czernowitzer Allgemeine Zeitung, das Czernowitzer Morgenblatt und die Czernowitzer Deutsche Tagespost.
Jiddisch in Czernowitz
Fairerweise muss man aber erwähnen, dass in den Volkszählungen auch Jiddisch gemeinhin als Deutsch gezählt wurde. Dabei war Jiddisch eine wichtige Sprache in der Geschichte der Stadt. Schriftsteller wie Elieser Steinbarg und Mosche Altman schrieben ihre Werke auf Jiddisch. 1908 fand hier die Konferenz für die jiddische Sprache statt, die Jiddisch fördern sollte. Es war ein Zeichen, dass sich die Sprache der osteuropäischen Juden aus den Schtetln emanzipiert hatte und zu den Kultursprachen der Welt gehören wollte.
Die jüdischen Weltliteraten aus Czernowitz
Doch auch der deutschen Kultur leisteten Juden, die nicht nur auf Jiddisch, sondern auch auf Deutsch schrieben, Vortrieb. Der bekannteste jüdische Schriftsteller von ihnen ist Paul Celan. Er schrieb das meisterhafte Gedicht Todesfuge, das wohl am besten das Grauen des Holocaust in Verse verwandelte. Auch Rose Ausländer stammte aus und lebte lange Zeit in Czernowitz. Sie konnte den Holocaust in Czernowitz überleben. Selma-Meerbaum-Eisinger, eine Groß-Cousine Paul Celans hingegen starb in einem Arbeitslager der Nazis. Wer ihr kleines Werk kennt, der weiß, zu was sie im Stande gewesen wäre, wenn sie älter als 18 geworden wäre und den Krieg überlebt hätte.
Jüdisches Museum Czernowitz und Paul-Celan-Literaturzentrum – Kampf gegen das Vergessen
Damit die Bedeutung der jüdischen Menschen für Czernowitz nicht komplett in Vergessenheit gerät, erinnert das Museum für jüdische Geschichte und Kultur der Bukowina an die einstigen Glanzzeiten. Das Gebäude des Museums war früher das Jüdische Haus – genau gegenüber des Deutschen Hauses standen sie neben dem Theater in Eintracht für die Vielvölkermetropole Czernowitz. Hier fand 1908 besagter Weltkongress des Jiddischen statt. Auch im Paul-Celan-Literaturzentrum wird mit regelmäßigen Veranstaltungen auch an das kulturelle Erbe der Juden in Czernowitz erinnert. Das Café im Haus könnt ihr jederzeit besuchen.
Jüdisches Erbe in Czernowitz – Die Cinemagoge und die Schatten der Vergangenheit
Von den 120.000 Juden die vor dem Zweiten Weltkrieg in der Bukowina lebten, haben nur 40.000 den Krieg und die Shoah überlebt. Viele, wie auch Rose Ausländer verließen die Sowjetunion. Der Exodus dauert bis heute an und zieht die Juden aus der Ukraine nach Israel, Deutschland oder in die USA. Mit den Menschen ging auch ein Großteil der Kultur. Von den zur Jahrhundertwende über Hundert Synagogen und Bethäusern gibt es heute ganz genau eine einzige, die diesem Zweck dient. Sie ist jedoch auch erst im Jahr 2001 wieder entstanden – auf Initiative von Juden aus den USA und Israel.
Die einst größte Synagoge der Stadt, der Choral-Tempel (siehe Cover-Bild), hat den Krieg als Ruine überlebt. In der Sowjetunion wurden die Mauern genutzt, um ein Kino zu errichten. Die Erscheinung erinnert nur noch entfernt an die frühere Große Synagoge von Czernowitz.
Jüdischer Friedhof Czernowitz – Schönstes jüdisches Gräberfeld in der Ukraine
Auch der jüdische Friedhof ist in einem bescheidenen Zustand. Das Gräberfeld mit vermutlich an die 50.000 Gräbern und Tausenden Grabsteinen wuchert zu. Für die Sanierung der Bestattungshalle fehlte lange das Geld. Mittlerweile ist aber zumindest die Fassade renoviert worden. Und die Hauptwege in der vorderen Hälfte werden jetzt häufiger durch die Stadt von Unkraut befreit. Denn in Czernowitz hat man mittlerweile gemerkt, dass das jüdische Erbe durchaus ein Magnet für Touristen sein kann. Und so schieben sich an manchen Tagen Busladungen voller Touristen über den wunderschönen Friedhof mit seinen vielen Matsevahs. Hier liegt unter anderem auch der erste jüdische Bürgermeister der Stadt – Eduard Reiss.
Sadagora – Pilgerort für chassidische Juden
Sadagora gehört heute als Stadtteil zu Czernowitz, war jedoch bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eigenständig. 1842 siedelte sich der Rabbiner Israel Friedman hier an, der einen eigenen rabbinischen Hof gründete. Friedman war für seinen luxuriösen Lebensstil bekannt, was zu einer innigen Feindschaft mit den Juden aus Sanz (heute Nowy Sacz in Polen) um Rabbi Chaim Halberstam führte. Dieser lebte ein bescheidenes Leben und kritisierte die Verschwendungssucht von Rabbi Friedman.
Dennoch siedelten sich dank Friedman in Sadagora viele Juden an, sodass die Stadt ein Schtetl mit über 80 Prozent jüdischer Bevölkerung war. Fast alle der jüdischen Familien wurden in der Schoah vertrieben und ermordet. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten nur noch fünf jüdische Familien hier. Von den Gebäuden sind nur die Neue Klois und das Gebäude des Zaddick erhalten geblieben.
Jüdisches Essen in Czernowitz – Lecker aber nicht immer ganz koscher
Mit der Erinnerung an die jüdische Vergangenheit der Stadt kehren auch jüdische Gerichte auf die Speisekarten der Restaurants in Czernowitz zurück.
Panska Huralnya
So kann man beispielsweise im „Panska Huralnya“ Gefilte Fisch bestellen, das vermutlich typischste Gericht der osteuropäischen Juden. Das kalte Karpfen-Hack wird besonders am Schabbat und an jüdischen Feiertagen serviert. Freilich finden sich in den Restaurants auch zweifelhafte „jüdische“ Gerichte. Eine Tomatencremésuppe mit Hähnchenfiletstreifen verstößt klar gegen die Kaschrut, die jüdischen Speisegesetze. Und neben diesen vermeintlichen und echten Einflüssen gibt es auch echte jüdische Restaurants.
Kosher Organic
Im Restaurant Kosher Organic (Sadovskoho-Straße 11) ist hingegen alles streng koscher und authentisch jüdisch zubereitet. Das ist auch völlig klar, denn es liegt direkt neben dem Eingang zur Synagoge in Czernowitz. Das Essen ist zudem auch noch sehr lecker.
Rita Steinberg
Mein absolutes Lieblingsrestaurant ist das Rita Steinberg. Hier gibt es ebenfalls jüdische Gerichte, die die Besitzer in alten Rezepten aus der Bukowina gefunden haben. Das Interieur ist sehr ansprechend und modern und die Gerichte sehen auch noch fantastisch aus. Der Geschmack ist ebenfalls einzigartig. Allerdings sind auch hier die Gerichte nicht koscher zubereitet.
Czernowitz Buchtipps
Czernowitz ist ein mythische Stadt. Durch die vielen bekannten Dichter von hier gibt es einige interessante Bücher.
- Der Autor der Reihe k.u.k. Sehnsuchtsorte Gregor Gatscher-Riedl befasst sich intensiv mit den Städten des ehemaligen Habsburger-Reiches. Auch in Czernowitz findet er viele interessante Geschichten der rund 120-jährigen Phase in Czernowitz.
- Gatscher-Riedl, Gregor (Autor)
- Rose Ausländer war eine der bekanntesten Schriftstellerinnen aus Czernowitz. Als Jüdin überlebte sie hier den Holocaust und traf im Ghetto auch Paul Celan. Ihre Gedichte strahlen bis heute eine unvergleichbare Kraft aus.
- Was für eine unglaublich vielfältige Küche Czernowitz als Metropole der Bukowina hat, kann man nicht nur in den Restaurants der Stadt erleben. Im Czernowitzer Kochbuch finden sich leckere Gerichte aus der ukrainischen, rumänischen, jüdischen, deutschen und polnischen Küche wieder!