Omsk in Russland – Versuchen Sie nicht, Omsk zu verlassen

Omsk gilt als hässlichste Stadt Russlands. Doch stimmt das? Und gibt es dort wirklich nichts zu sehen? Ein Ausflug auf den Spuren eines Memes.

Inhaltsverzeichnis

„Versuchen Sie nicht, Omsk zu verlassen“ – dank dieses Memes ist die zweitgrößte sibirische Stadt Omsk zu einer der bekanntesten Städten Russlands geworden. Doch bekannt zu sein, bedeutet nicht automatisch, einen guten Ruf zu haben.

Omsk – Die schlimmste Stadt Russlands

Fjodor Dostojewski, einer der bedeutendsten russischen Schriftsteller, verbrachte vier Jahre in einem Zuchthaus von Omsk.

“Omsk ist ein mieses Städtchen. Kaum Bäume hier. Hitze und Wind mit Sand im Sommer, Schneesturm im Winter. Ein dreckiges Städtchen, militärisch und unzüchtig im Höchstmaß.”

Fjodor Dostojewski

So abwertend schrieb Dostojewski 1854 an seinen Bruder kurz nach der Entlassung. In diversen inoffiziellen Rankings wurde Omsk zur schlimmsten Stadt Russlands erklärt, unter anderem vom bekannten Moskauer Travel Blogger und Fotografen Ilja Warlamow, der im Jahr 2012 in Omsk als Bürgermeisterkandidat angetreten ist. Er hatte das ambitionierte Ziel, das so sehr gehasste Omsk zur lebenswertesten Stadt des Landes zu machen. Gewählt wurde Warlamow nicht, denn Moskau und Omsk liegen weit voneinander entfernt – nicht nur in geografischer Hinsicht.

Omsk Kathedrale
Kann auch ganz nett sein: Kathedrale in Omsk.

In Käse baden und schnell bestattet werden

Russlandweit bekannt sind die sogenannten Omsker Käser – ehemalige Mitarbeiter einer Käsefabrik, die auf einer Betriebsfeier in der Fabrik in Milch badeten. Bilder davon haben sie selbst im russischen sozialen Netzwerk VKontakte gepostet. Aus Omsk stammen auch Vater und Sohn Golowanowi. Sie sind die schnellsten Bestatter Russlands und Sieger des Wettbewerbs “Gruftige Schrankenlosigkeit”, bei dem es darum geht, wer am schnellsten ein Grab ausheben kann.

Aber ist die Stadt tatsächlich so schlimm und sind ihre Bewohner so gruselig wie man das aus dem Internet kennt? Um diese Frage zu beantworten, bin ich selbst hingefahren. Das Risiko, die Stadt nicht mehr verlassen zu können, musste ich in Kauf nehmen.

Dritte Hauptstadt Russlands

„In Omsk ist es wie in Paris, nur geiler“, “Wir lieben Omsk und sind stolz auf Russland” – mit diesen Graffitis begrüßte mich die Stadt. Die Einheimischen sind scheinbar nicht so negativ gegenüber ihrer Heimat eingestellt wie manche Blogger aus der Hauptstadt. Übrigens: 1918 bis 1919 war Omsk während des Russischen Bürgerkrieges die Hauptstadt des antibolschewistischen Weißen Russlands unter Führung von Admiral Koltschak. 

Omsk Streetart
Hinterhof in Omsk in Russland

Laut einer Umfrage im Sommer 2021 waren 49 % der Omsker dafür, die Hauptstadt aus Moskau nach Omsk zu verlegen. Über die Idee der Hauptstadtverlegung wird bereits seit einigen Jahren diskutiert, allerdings ist unklar, wohin. Als im Rahmen der eines Programms zur Entwicklung Sibiriens vorgeschlagen wurde, fünf neue Städte in Sibirien zu gründen, postete das satirische Portal “Panorama” (vergleichbar mit dem deutschen “Postillon”) die Meldung, dass eine dieser fünf Städte an dem Ort gegründet werden soll, an dem heute Omsk liegt. Der Witz kam gut an.

Das Ei von Omsk und die Geburt des Memes

In Omsk erinnert ein Denkmal an den Stadtgründer Iwan Buchholz. Wegen der seltsamen Form wird dieses Denkmal auch das „Ei von Poleschajew“ genannt. Während eines Sturms im Jahr 2014 fiel die sieben Meter große Kugel von seinem Sockel und versuchte so, Omsk zu verlassen. Doch flüchten konnte das Denkmal nicht – es wurde rechtzeitig von Traktoren wieder eingefangen und zurück auf den Sockel gehievt. Auch ein zweiter Fluchtversuch zwei Jahre später blieb erfolglos.

Einer anderen, weniger schönen Version zufolge entstand das Meme nach der gleichnamigen Doku über die Schwierigkeiten der Jugendlichen von Omsk auf dem lokalen Arbeitsmarkt. Das Meme ist mittlerweile so verbreitet geworden, dass sogar der stellvertretende Bürgermeister von Omsk, Alexander Burkow, es als Ursache der wirtschaftlichen Probleme der Region bezeichnete und klagte, dass es Investoren abschrecken würde.

Die kürzeste U-Bahn der Welt

Eine interessante Omsker Sehenswürdigkeit ist die U-Bahn. Mit nur einer Station, der Haltestelle Puschkin-Bibliothek, wäre sie heute wohl die kleinste U-Bahn der Welt, doch 2019 wurde entschieden, das Projekt einzustellen. Noch in der Sowjetunion galt die Direktive: Jede Stadt mit über 1 Million Einwohner sollte über eine U-Bahn verfügen. 1991 wurde begonnen, in Omsk eine U-Bahn zu bauen. Das Projekt ist mehrfach gescheitert, angeblich aus Geldmangel.

Einer anderen Version zufolge wurde das vorhandene Geld jahrelang nicht zielgemäß eingesetzt. Immerhin gibt es in Omsk eine U-Bahn-Brücke und eine dauerhaft geschlossene U-Bahn-Station, in der jetzt regelmäßig Kunstausstellungen stattfinden. Was es aber nicht gibt, ist eine funktionierende U-Bahn. Die deutsche Fernsehsendung Galileo hat sich das mal genauer angeschaut:

Doch auch wenn es keine funktionierende Metro in Omsk gibt, so gibt es immerhin einen guten Ort, an dem ihr euren Schmerz über die fehlende U-Bahn vergessen könnt. Im Bibliotheksgebäude, dass sich in unmittelbarer Nähe der U-Bahn-Station befindet, steht in der Straße Krasnij Put 11 die Privatbrauerei “U Puschkina” (Zum Puschkin). Dort könnt ihr leckeres, frischgebrautes und gezapftes Bier aus Omsk probieren.

Omsk Musik im Untergrund
Graffiti für Jegor Letow

Die sibirische Zitadelle der Underground-Musik

Und auch wenn es Omsk an offensichtlichen Sehenswürdigkeiten mangelt, so gibt es hier dennoch andere Schätze zu entdecken. Omsk ist nämlich die Heimatstadt eines berühmten sibirischen Musikers und Dichters. Der Gründer der Punk-Band “Grazhdanskaja Oborona” Jegor Letow, über den wir in diesem Artikel über die russische Rockmusik berichten, stammt von hier. Sein Name ist eng mit der Stadt Omsk verbunden, auch wenn er hier kein einziges Konzert gegeben hat.

2018, zehn Jahre nach Letows Tod, gab es einen Vorschlag aus der Mitte der Bevölkerung, den Omsker Flughafen im Rahmen des Projekts “Große Namen Russlands” nach Letow zu benennen. Kulturminister Medinski war aber der Meinung, es sei eine schlechte Sitte, einen Flughafen nach einer lebenden Person zu benennen. “Es leben Letow, und Lenin und Lennon” – antwortete Medinski auf den berechtigten Hinweis, dass Letow schon gar nicht mehr lebe.

Altera Pars mit dem Song „Du kommst nicht aus der Stadt raus“

Auch wenn es heutzutage keine mit Letow vergleichbaren Namen mehr in Omsk gibt, ist die Underground-Szene der Stadt noch immer ziemlich lebendig. Hier und im Umland werden regelmäßig gut besuchte alternative Festivals veranstaltet. Noch vor der Pandemie hatte ich das Glück, die Auftritte der Omsker Band Altera Pars erleben zu dürfen, die viele sibirische Festivalgänger und Besucher von Underground-Clubs kennen.

Aus dem Omsker Oblast, genauer aus der Stadt Kalachinsk, stammt die Nordic-Ritual-Folk-Band Nytt Lan, die Fans nordischer Folkmusik bekannt sein dürfte. Weit über die Grenzen von Omsk hinaus ist auch die Stouner-Rock-Band Groggy bekannt. Omsk ist also zumindest ein wichtiger Anziehungspunkt für die russische Musikkultur.

Deutsche in Sibirien

Und auch besonders für deutsche Besucher kann Omsk durchaus interessant sein. Denn die ersten deutschen Siedler gab es in Sibirien bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts. Es handelte sich um Beamte, Angehörige des Militärs und Bauern. Damals war Sibirien für viele attraktiv. Eine zweite Migrationswelle nach Sibirien während und nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte weniger freiwillig: Stalin befahl, mehrere Tausend deutschstämmige Bürger nach Sibirien zu deportieren.

Vor dem Zerfall der UdSSR lebten im Omsker Oblast ca. 130.000 ethnische Deutsche, knapp die Hälfte von ihnen ist während der 1990er-Jahre nach Deutschland ausgesiedelt. Laut einer Volkszählung lebten im Jahr 2010 im Oblast Omsk noch 50.055 Deutsche, davon 14.470 direkt in der Stadt Omsk.

Die Bewohner eines Dorfs im Oblast Omsk bitten Angela Merkel, ihnen eine Straße zu bauen

Im Sommer 2021, kurz vor dem Ende der Kanzlerschaft von Angela Merkel, haben die Bewohner des Omsker Dorfes Wechhnij Karbusch ein Video gedreht, in dem sie die Bundeskanzlerin bitten, die Hauptstraße im Dorf zu asphaltieren, denn die älteste und wichtigste Straße des von den Russlanddeutschen gegründeten Dorfes befindet sich in einem erbärmlichen Zustand und sie müssen sich schämen, wenn Gäste aus Deutschland zu Besuch kommen. Die Dorfbewohner richteten ihre Bitte an Merkel, weil sie von den russischen Politikern und Beamten keinerlei Hilfe erhielten. Leider hat eine Sprecherin von Angela Merkel die Bitte jedoch abgelehnt.

Omsk Lenin
Ein anderes Lenin-Denkmal am Bahnhof, hat Omsk noch nicht verlassen.

Lenin-Denkmal in Omsk

Und so besinnt man sich in Russland dann doch lieber auf alte Konstanten – wie Lenin. Auch 30 Jahre nach dem Zerfall der UdSSR wird Lenin von vielen in Russland immer noch als eine Art Heilige Kuh wahrgenommen. Egal ob klein oder groß – in jeder russischen Stadt steht mindestens ein Lenin-Denkmal. Omsk bildet dabei keine Ausnahme, in der Stadt gab es sogar einmal 18 Lenin-Denkmäler! 

Doch eines davon wurde demontiert und bietet Raum für neue Legenden. Als im Jahr 2007 die Uspenskij-Kathedrale am Hauptplatz von Omsk wiedererrichtet wurde, fiel jemandem auf, dass der daneben stehende gusseiserne Lenin mit seiner Hand auf die Kathedrale zeigte. Lenin war aber ein großer Gegner der Kirche und der Religion.

Das Denkmal wurde zunächst für ein paar Wochen abgedeckt und dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion heimlich abgebaut. Der Omsker Sekretär der Kommunistischen Partei Russlands reagierte empört, sah in der Aktion ein Verbrechen und zeigte den Stadtrat bei der Staatsanwaltschaft an. Das Denkmal kehrte jedoch nie zurück. Es gibt verschiedene Versionen der Legende, die besagen, dass es entweder verwahrt wird oder demoliert wurde. Vielleicht wollen die Omsker aber einfach nicht wahrhaben, dass Lenin es tatsächlich geschafft hat, Omsk zu verlassen.

Der Autor dieses Textes dankt seinem langjährigen Kumpel und Omsker Patrioten Andrej Wlasow für die einzigartigen Stadtführungen und Nikita Plisko für die Einführung in die alternative sibirische Musikszene.

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Ich bin Juri Borowskih, ein gebürtiger Petersburger mit sibirischen Wurzeln, der sich in zwei Bruderstädten – Moskau und Berlin – zu Hause fühlt. Nach dem Studium der Soziologie zog ich nach Deutschland um und genieße jetzt wieder das Leben in einer Hauptstadt. Als leidenschaftlicher Globetrotter und Konzertgänger nutze ich jede Gelegenheit, um Reisen und Musik zu kombinieren. Ich freue mich darüber, meine Leidenschaften mit den Lesern dieses Blogs teilen zu können.

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