Als ich aufwache an diesem Morgen, bin ich todmüde. Brandenburg ist Mückenland. Mein Schlaf war nur mäßig, trotz des Moskitonetzes, das ich mir vorher gekauft habe. Die Biester haben es trotzdem irgendwie bis zu mir geschafft und mich ausgesaugt. Mein Tag auf dem Brandenburg Floß beginnt ziemlich blutleer. Ich quäle mich von der Luftmatratze hoch und öffne die Stoffplane, um zu schauen, wie es draußen aussieht. Zu meiner Überraschung sehe ich: nichts.
Treibgut im Nirgendwo
Mein Floß treibt mitten im See und um mich herum ist nur Nebel. Die Sichtweiten kann ich nur ungefähr an den schemenhaft zu erkennenden Wasserpflanzen erahnen. Es sind keine 10 Meter. Ich kann weder das eine Ufer sehen noch das andere. Ich bin 360 Grad von einer grauen Wand umgeben. Jeden Moment erwarte ich, dass entweder Captain Jack Sparrow mit seiner Black Pearl vorbeigefahren kommt oder aus dem Nebel zunächst Sirenen erschallen, die mich, nachdem ich ihrem lieblichen Gesang lauschen durfte, in die Tiefe ziehen. Aber es passiert, ihr ahnt es schon: nichts. Stattdessen blubbt es immer mal um mich herum. Es sind die Fische, die immer mal kurz an die Oberfläche kommen und nach etwas schnappen.
Erinnerung an Transnistrien
Außen ist alles mit Raureif belegt, ich kann mich also nicht auf die Holzstühle setzen. Stattdessen hole ich nur den Gaskocher und öffne die Planen der Seitenfenster. Mit dem Gaskocher koche ich mir einen schwarzen Tee von „ALTHAUS“ (nostalgisch, da das mein Nachname ist) und denke dabei kurz an das unwirkliche Transnistrien, wo ich den Tee das erste Mal getrunken habe. Hier, inmitten des Nichts, komme ich ein wenig zur Ruhe. Mir ist es eigentlich egal wie spät es ist.
Wie ich die Spinnen lieben lernte
Ich habe Zeit, muss nur gegen 10 Uhr am Campingplatz Zaue sein, um Freunde abzuholen. Das sind aber noch 3 Stunden. Mittlerweile habe ich mir ein Handtuch von drinnen geholt und nutze es als Sitzauflage für die Stühle. Minutenlang starre ich auf ein bizarres Spinnennetz, das einer der Achtbeiner an einem Pfahl der Reling des Floßes gesponnen hat. Auch daran hängt Tau, was es besonders interessant macht. Mit den Spinnen bin ich seit dem Abend gut Freund, denn sie halten die lästigen Mücken wenigstens etwas im Zaum.
Mit dem Brandenburg Floß durch das malerische Mückenland
Am Tag zuvor hatte ich die Viecher leider schon im Floß. Als ich das Floß von Beeskow abgeholt habe, musste ich schon mit den Händen immer wieder um mich schlagen. Immerhin, während der Fahrt ging es dann aber ganz gut, denn die Biester setzen sich ab. So konnte ich die 2 Stunden den Fluss hinunter genießen: Die niedliche Kleinstadt Beeskow mit ihren schönen Häusern am Wasser, wo die Menschen einen Bootssteg neben den anderen gebaut haben. Die weiten Spreeauen und Nebenarme, durch die Schwäne ziehen. Die umgekippten Bäume, um die ich mit dem Floß manövrieren muss. Die Tausenden Vögel auf dem Wasser und in der Luft, die den Weg kreuzen. Mitunter auch einige Libellen, die langsam entlang des Schilfes schweben.
Und die freundlichen anderen Bootsführer, von denen einer nett genug war, meinen zwischendurch kurz ausgeschalteten Außenborder wieder in Gang zu bringen, nachdem er sich perdu nicht mehr starten lassen wollte. Die Weite des Schwielochsees, den ich der Karte nach nicht so groß eingeschätzt hatte. Und den atemberaubenden Sonnenuntergang auf dem Schwielochsee.
Planlos im Nebel
Nun ist es schon nach 9 Uhr. Der Nebel hat sich kaum gelichtet. Zumindest kann ich das Ufer des Sees immer noch nicht erkennen. Immerhin sehe ich aber schon mal wo die Sonne steht. Das bietet mir die erste Orientierung. Mein iPhone hat immerhin ein GPS und weist mir Position und Richtung aus. So steuere ich durch die trübe Suppe. Die Fahrrinne zu erreichen macht keinen Sinn, ich sehe keine Bojen.
So steuere ich einfach Grob Richtung Süden. Langsam sehe ich immerhin immer mal wieder das Ufer. Auch bekomme ich den ersten Anruf von Daphne. Sie sind schon am Campingplatz. Ich navigiere weiter Richtung Süden. Nach einer Weile sagt mir Google Maps, dass ich wohl in Zaue sein müsste. Wir telefonieren hin und her, versuchen Orientierungspunkte auszumachen. Am Ende schaffen wir es tatsächlich den richtigen Steg auszumachen und ich lege wie ein venezianischer Fährmann an. Nach einer halben Stunde legen wir gemeinsam ab. Der Nebel ist nun verschwunden, die Sonne hat gesiegt.
Grillfest auf dem See
Mit dem Floß fahren wir raus an das andere Ufer des Sees, in die Nähe eines Schilfgürtels. Auch andere Boote reihen sich im Abstand von 20 bis 30 Metern dazu. Es ist viel Verkehr auf dem See heute. Alle wollen das letzte Augustwochenende auf dem See verbringen. Die Sonne scheint ordentlich, es sollen 32 Grad werden. Nachdem ich die Anker ausgeworfen habe, werfen wir den Grill an und entkorken die ersten Biere. Daphne und Evan springen in den See, ich kümmere mich um den Grill. Die beiden haben Unmengen Fleisch mitgebracht. „Wir wussten ja nicht, wer hier noch ist“, meint sie.
Am Abend zuvor gab es Linsensuppe, die ich mit dem Gaskocher erwärmt habe. Jetzt gibt es Steaks, Bratwürste, Grillkäse und Gemüse. Dazu frische Brötchen mit Aufstrichen. So lässt sich das Leben aushalten. Auch wenn es nach dem Essen nicht ratsam sein soll, springe ich ins Wasser. Die Erfrischung tut gut, es ist mittlerweile ziemlich warm und auf dem Floß fehlt ein Sonnenschirm. Den Nachmittag verbringen wir damit, über den See zu fahren. Bis zum Südende kommen wir. Ich tanke sicherheitshalber an der Wassertankstelle nochmal voll. Auch lasse ich Evan das Steuer übernehmen, setze mich während der Fahrt auf das Vorderdeck und lasse meine Beine ins Wasser baumeln. Wie Jesus laufe ich quasi auf Wasser.
Wir können hier anhalten, es ist Fledermausland!
Als ich auf die Uhr schaue, ist es 17.30 Uhr. Langsam fahren wir nach Zaue zurück. Ich will die beiden gegen 18 Uhr absetzen, um noch bei Tageslicht bis Kummerow zu kommen, damit ich morgens nur eine halbe Stunde Fahrt übrig habe. Wir verabschieden uns am Steg und ich drehe ab und fahre wieder Richtung Beeskow. Wieder winken mir alle anderen Bootsführer zu. Das Floß erregt Aufsehen. Ich ziehe vorbei an der Fahrradfähre, die man bei eingeschalteten Warnlicht nicht überqueren darf, den Fluss hinauf. Pünktlich vor Einbruch der Dunkelheit finde ich hinter Kummerow eine Stelle zum Ankern. Sie liegt neben einem Wald direkt am Ufer. Ich kann sogar an Land gehen.
Zufrieden mit dem Tag setze ich mich auf das Deck. Seltsamerweise gibt es kaum Mücken. Stattdessen fliegen immer wieder kleine Vögel in Richtung des Wassers und dann zurück. Zunächst halte ich sie für Eisvögel. Mittlerweile ist es jedoch dunkel und mir fällt ein, dass es wohl eher Fledermäuse sind, die ich da im schummerigen Licht des Vollmondes erkenne. Immer wieder fliegen sie raus. Ich glaube sie sind der Grund, warum ich an diesem Abend kaum von Mücken geplagt werde. Ich muss an eine Szene in Fear and Loathing in Las Vegas denken. „We can’t stop here. It is bat country“ (in der Deutschen Fassung: „Wir können hier nicht anhalten. Das ist Fledermausland!“). In Brandenburg kann ich anhalten. Es ist Fledermausland.
Gedanken an den Mississippi
Bis Mitternacht sitze ich mit meinen restlichen Bier auf dem Floß. Ein wenig muss ich dann doch noch an Huckleberry Finn denken und an meine Reise entlang des Mississippi. Aus Wehmut hole ich meine Mundharmonika heraus und blase etwas darauf herum. Zugegeben: Ich kann es gar nicht. Aber da hier sowieso nur Fledermäuse rumfliegen, störe ich auch niemand weiter. Bald darauf gehe ich schlafen und fühle mich so entspannt wie seit Island nicht mehr, trotz üblem Sonnenbrand und Dutzenden Mückenstichen.
Guter Schlaf und Abschiedswehmut
Diesmal schlafe ich mangels Mücken besser und erwache auch erst gegen 8 Uhr. Ich koche mir schnell einen Tee, genieße den Ausblick auf den Fluss und beeile mich dann, die letzte halbe Stunde bis nach Beeskow zu fahren. Vorbei wieder an den Schwänen, den Seitenarmen der Spree, den freundlichen Bootsführern und der niedlichen Stadt Beeskow.
Brandenburg Floß, Du wirst mir fehlen. Du warst mir ein guter Gefährte.
Die Floßfahrt von Beeskow habe ich im Jahr 2015 für mein altes Blog Rooksack absolviert. Der Text wurde leicht überarbeitet, gibt aber noch das gleiche Erlebnis wieder. Vielen Dank nochmals an Tourismus-Marketing Brandenburg und an Huckleberrys Tour. Meine Meinung bleibt der Unterstützung unberührt.