Duga Radar Tschernobyl – Das gigantische Überhorizontradar in der Sperrzone

Das Duga Radar Tschernobyl ist eine der größten Antennen. Das Überhorizontradar steht im Sperrgebiet Tschernobyl. Zur Antenne gehört eine Siedlung die verfällt.

Inhaltsverzeichnis

Der Reaktor von Tschernobyl und die Geisterstadt Prypjat sind in der westlichen Welt gut bekannt. Weniger Menschen wissen jedoch, dass die Sowjets die Energie des Atomkraftwerks auch für den Betrieb einer massiven Radaranlage genutzt haben. Das Duga Radar war eine der leistungsfähigsten und technologisch fortschrittlichsten Anlagen in der Sowjetunion. Sie sollte im Falle eines Atomangriffs ankommende Raketen aufspüren. Heute ist diese massive Konstruktion nicht mehr in Betrieb, kann aber im Rahmen einer Tour durch die Sperrzone Tschernobyl besichtigt werden.

Duga Radar Tschernobyl
Das Duga Radar war mit 150 Metern Höhe und 700 Meter Länge schwer zu verstecken. Foto: Martin Kaule

Standort des Duga-Radar

Das Duga Radar, russisch für Bogen oder Kurve, liegt mitten im Wald, etwa 10 Kilometer (6 Meilen) südlich des Kernkraftwerks Tschernobyl. Es wurde als eine der geheimsten Einrichtungen in der Ära des Kalten Krieges geführt. Unter der Tarnbezeichnung „Tschernobyl-2“ wurde das streng abgeschirmte Areal in den 1970er Jahren errichtet. Der Weg zum Duga Radar führt durch Kiefernwälder über Straßen aus Beton, die zu Sowjetzeiten typischerweise zu militärischen Einrichtungen führten. Der operative Duga-Komplex war in Tschernobyl und Komsomolsk am Amur stationiert. An diesen Standorten waren Sende- und Empfangsantennen örtlich getrennt, um den nordamerikanischen Kontinent mit Hilfe einer Kreuzpeilung abdecken zu können.

Duga Radar Siedlung Tschernobyl-2
Für den Betrieb des Radars wurde eigens eine Siedlung angelegt, die rund 2.000 Einwohner hatte. Foto: Martin Kaule

Eine Kleinstadt für das Radar

Neben dem militärischen Bereich wurde in unmittelbarer Nähe eine Kaserne unterhalten sowie eine separate Siedlung für die Familien der Militärangehörigen mit einer Schule, einem Kindergarten, einem Krankenhaus und einem Kulturzentrum errichtet. Auch eine speziell abgeschirmte Militärstadt wurde wegen des immensen Stromverbrauchs in der Nähe des Kraftwerks errichtet. Doch die beiden fast 700 Meter langen und etwa 150 Meter hohen Antennen konnten kaum vor neugierigen Blicken verborgen werden.

Duga Radar Antenne
Das Signal der Antenne störte den Funk- und Radioverkehr in vielen Ländern. Foto: Peter Althaus

Das Duga Radar als Teil des sowjetischen Raketenortungssystems

Das Duga-Radar galt als elementarer Teil des sowjetischen Frühwarnsystems für feindliche Raketen. Die beiden riesigen Empfangsantennen sollten im Ernstfall den Start amerikanischer Bomberverbände und den Start von ballistischen Interkontinentalraketen in einer Entfernung von bis zu 15.000 Kilometern ermitteln und so eine Vorwarnzeit von etwa 30 Minuten gewährleisten. In diesen 30 Minuten wäre der Gegenschlag der Sowjetunion erfolgt und die Staaten des Warschauer Paktes wären alarmiert worden. Im Hinterland der UdSSR-Außengrenzen wurden in den 1960er Jahren verschiedene Prototypen dieser Überhorizontradare errichtet, um die technischen Möglichkeiten zur Erkennung weit entfernter Luftziele zu testen. Es war ein wichtiges Werkzeug für einen möglichen nuklearen Gegenschlag.

Duga Radar
Blick auf die riesige Antenne des Russian Woodpecker. Foto: Martin Kaule

Störende Funksignale weltweit

Das charakteristische Radarsignal der Antenne konnte in Teilen der nördlichen Hemisphäre auf Kurzwelle gehört werden. Das Signal ähnelte dem Klopfgeräusch eines Spechtes, weshalb die Anlage schnell den Spitznamen „Russian Woodpecker“, also Russischer Specht, erhielt. Nicht wenige Menschen im Westen glaubten sogar, dass diese Anlage von den Sowjets zur Gedankenkontrolle eingesetzt wurde, was natürlich ein Trugschluss war. Nach dem Unfall im Kraftwerk wurde die Militäranlage anschließend geschlossen. Im Jahr 1989 wurde das letzte der Signale empfangen.

Abschaltung durch Entspannung

Es wird vermutet, dass die Sowjetunion den Betrieb des Radars wegen der nachlassenden Spannungen im Kalten Krieg einstellte. Man ging davon aus, dass das Radar nicht mehr benötigt wird. Die russische Regierung gab jedoch 2014 bekannt, dass ein neues Radar ähnlichen Typs in der Nähe von Nischni Nowgorod gebaut wurde und seit 2016 in vollem Einsatz ist. Bei der Errichtung wurden auch die Erfahrungen vom Duga Radar in Tschernobyl genutzt.

Duga Radar 150 Meter hoch
Manche Besucher besteigen die 150 Meter hohe Antenne illegal. Dabei kamen bereits ein paar Menschen ums Leben. Foto: Peter Althaus

Was kann man auf dem Gelände der Radarstation Duga sehen?

Seit einigen Jahren kann man sowohl die baulichen Überreste des imposanten Überhorizontradars als auch die angrenzende Kaserne und das Wohngebiet besichtigen. Die erhaltenen Übungstafeln für Ausbildungszwecke in den Gebäuden in unmittelbarer Nähe der Antenne, der Hauptkontrollraum, der lange begehbare Versorgungstunnel und die weiteren Gebäude im militärischen Teil eröffnen beeindruckende Perspektiven.

Eine weitere Besonderheit sind die zahlreichen Wandmalereien und Zeichnungen, die zu Propaganda- und Schulungszwecken auf den massiven Wandelementen oder an den Giebelseiten der Gebäude verewigt wurden. Bei einem Ausflug in die Sperrzone solltet ihr aber auch einen Besuch der angrenzenden zivilen Zone einplanen. Ein Modell des gesamten Areals in der alten Feuerwache, ein Spielplatz aus Dipolen der Empfangsantennen in Form einer Rakete und eines Flugzeugs sowie die noch gut erhaltene Schule mit dem Kindergarten laden zu spannenden Erkundungen ein.

Tschernobyl Hunde
Tarzan ist oft an diesen Baracken an der Siedlung Tschernobyl zu finden. Foto: Peter Althaus

Tarzan und die anderen Tschernobyl-Hunde

Der Eingang zur abgeschiedenen Siedlung ist auch der Ort, an dem der berühmteste Bewohner der Tschernobyl-Sperrzone die meiste Zeit verbringt. Der Hund Tarzan ist einer der berüchtigten Tschernobyl-Streuner, in die die Besucher der Zone total vernarrt sind. Normalerweise verbringt er die meiste Zeit am Tor zur Siedlung Tschernobyl-2, aber ihr könnt ihn und die anderen streunenden Hunde auch an verschiedenen Orten in der Sperrzone sehen. Es ist keine schlechte Idee, vor dem Einstieg in den Tourbus in einem Supermarkt etwas Fleisch zu kaufen, um ein paar leckere Snacks für diese kleinen süßen Kerlchen zu haben.

Touren zum Duga-Radar auf einer Tschernobyl-Tour

Für eine Tour durch das gesamte Gebiet solltet ihr mehrere Stunden einplanen. Auf den regulären Tagesausflügen nach Tschernobyl von Kiew aus gibt es hier meist nur einen kurzen Stopp mit einem Spaziergang zu den riesigen Antennen. Da dieser Bereich noch bewacht wird und erst seit wenigen Jahren für Besucher zugänglich ist, heben sich die hier vorhandenen Motive deutlich von denen in Prypjat ab. Das Objekt ist mit seinem Erhaltungszustand eines der besten Objekte in der Sperrzone. Wir empfehlen euch daher dringend, euch mindestens einer eintägigen oder besser einer längeren Tour anzuschließen und euch gezielt zu erkundigen, ob eure Reisegruppe auch das Gebiet um das Duga Radar und die angrenzende Siedlung besucht.

In Kyjiw haben sich zahlreiche Unternehmen auf einen Besuch der gesperrten Zone mit Touristen spezialisiert haben. Der in Berlin ansässiger Reiseveranstalter Tschernobyl entdecken! organisiert seit mehr als 10 Jahren Tages- und Mehrtagesreisen in die gesperrte Zone. Auch Besuche beim Duga-Radar stehen hierfür auf dem Programm.

Radioaktivität Duga Radar
Auf dem Gelände gibt es ebenfalls einige hochradioaktive Stellen. Foto: Martin Kaule

Tschernobyl Buchtipps

Neben den vielen Dokumentationen und Fernsehserien gibt es hervorragende Bücher über die Sperrzone Tschernobyl, die euch einen tiefen Einblick in die Geschichte und die Ursachen des Nukleardesasters geben, genau wie auch einen tollen Überblick über die dortigen Tschernobyl Sehenswürdigkeiten. Martin Kaule, Co-Autor dieses Beitrags hat gerade zusammen mit anderen Fotografen ein neues Buch über die Sperrzone veröffentlich. Der Bildband mit vielen Erklärungen gibt euch einen guten Überblick.

Für mich ist das Buch von Serhii Plokhy das bisher beste Buch zu Tschernobyl. Es beschreibt viele Details der Atomkatastrophe und besonders für die Leser, die auch die Serie gesehen haben, ergänzt es viele der dort mitunter sehr wahrheitsgetreu wiedergegebenen Details noch weiter. Leider ist das Buch bisher nur auf Englisch erschienen. Ich freue mich auf eine deutsche Übersetzung.

Swetlana Alexijewitsch sprach mit Menschen, für die die Katastrophe zum zentralen Ereignis ihres Lebens wurde: mit kranken und sterbenden Soldaten, mit den Witwen von Liquidatoren, mit Müttern und Kindern, hochdekorierten Wissenschaftlern und mit Bauern. Das Ergebnis sind eindringliche psychologische Porträts, literarische Monologe, die von Menschen erzählen, die ihre Zukunft in einer Welt der Toten aufbauen mussten.

Der Atomunfall von Tschernobyl ist einer der kollektiven Albträume der Welt und war lange Zeit unklar. Adam Higginbotham befragte Augenzeugen und sprach mit denjenigen, die früher an dem Projekt gearbeitet hatten und durchforstete Archive nach bisher unveröffentlichten Briefen und Dokumenten, um zu verstehen, wie es zu dieser Katastrophe kam.

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Martin Kaule ist in Berlin geboren und aufgewachsen. Seit mehr als 20 Jahren dokumentiert er zeitgeschichtliche Erinnerungsorte und schreibt darüber. Seit 2015 organisiert er Tagesexkursionen und Reisen zu außergewöhnlichen Orten in Europa.

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