Magdeburg kennen vermutlich viele nur von den Autobahnschildern an der A2 und A14. Dabei ist die Elbstadt durchaus sehenswert und hat mit dem Hundertwasserhaus, dem Dom und dem Elbauenpark mit dem Jahrtausendturm durchaus einige vorzeigbare Sehenswürdigkeiten zu bieten. Nur die wenigsten wissen allerdings, dass Magdeburg besonders für Fans der Moderne ein echtes Mekka ist. Denn in der heutigen Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt wurde in den 1920er-Jahren so umfassend mit dem Neuen Bauen experimentiert wie sonst vielleicht nur noch in Chemnitz und Berlin. Deshalb wollen wir euch auch unbedingt die schönsten Orte der Magdeburger Moderne genauer vorstellen.
Die Zwischenkriegszeit als Versuchsanstalt in Magdeburg
Magdeburg war aufgrund seiner Lage und seiner Bedeutung über Jahrhunderte Festungsstadt und dadurch in seinem Wachstum zunächst begrenzt. Doch die Industrialisierung ließ auch Magdeburg stark wachsen. Die daraus entstandene wirtschaftliche Not wurde durch den Ersten Weltkrieg noch verschärft. Wohnraum war knapp, die Bedingungen in den Mietshäusern oft unhygienisch. Besonders die progressiven Politiker, die durch die Revolution und das mit ihr eingeführte Wahlrecht von ganz neuen Wählergruppen in Ämter gewählt waren, standen unter Zugzwang, günstigen Wohnraum zu schaffen. Das machte auch eine Abkehr von alten Prinzipien notwendig.
Hermann Beims als Vater der Magdeburger Moderne
So wurde Hermann Beims 1919 Oberbürgermeister von Magdeburg. Eigentlich war er Tischler und Arbeiterfunktionär aus einem kleinen Ort im heutigen Niedersachsen. Er war jedoch bereits vor dem Ersten Weltkrieg nach Magdeburg gekommen. Neben seiner Position als OB war er auch Mitglied der Nationalversammlung und danach des Reichstages. Der Pragmatiker suchte nach Lösungen für die Probleme im städtischen Wohnungsbau. Beims wollte Magdeburg gar zur Hauptstadt Mitteldeutschlands ausbauen – die Stadt sollte dadurch 700.000 Einwohner bekommen. Bei seinen Plänen für den Ausbau der Stadt mit experimentellen Bauten bezog er sich immer wieder auf das Magdeburger Recht als Zeichen der kommunalen Selbstverwaltung. So konnte Magdeburg zur führenden Stadt des neuen Bauwesens werden. Hier wurden mehr Bauprojekte umgesetzt als durch das Bauhaus in Weimar oder Dessau.
Auch wenn Magdeburg keine 700.000 Einwohner erreichte, so wurden im Zuge des Neuen Bauens dennoch zwischen 1925 und 1932 rund 11.000 Wohnungen errichtet. Beims holte dafür bekannte Architekten und Stadtplaner nach Magdeburg. Bruno Taut entwickelte den Generalsiedlungsplan für die Stadt und band andere progressive Köpfe wie Johannes Göderitz und Carl Krayl mit ein. Oberbürgermeister Hermann Beims reformierte aber auch noch andere Bereiche des städtischen Lebens. Es wurden zunächst vor allem Schulen und soziale Einrichtungen wie Suppenküchen gebaut. Die Stadt richtete ein Gesundheitsamt ein und stellte Schulärzte und Schulzahnärzte ein. Die Säuglingssterblichkeit in der Stadt wurde zum Beispiel erheblich gesenkt.
Magdeburg als Kunststadt – Die Kugel
Auch in der Kunst entwickelte sich Magdeburg nach dem Ersten Weltkrieg zu einem bedeutenden Zentrum des Spätexpressionismus. In der Künstlervereinigung Die Kugel schlossen sich revolutionär gesinnte Künstler zusammen, die Zeitschriften druckten und ihre Ideen propagierten und Diskussionrunden veranstalteten. Zur Gruppe gehörten Maler wie August Bratfisch, der Architekt Adolf Behne, der Grafiker Bruno Beye und der Schriftsteller Erich Weinert. Auch wenn die Gruppe nur bis 1923 bestand, so gab sie doch wichtige Schlüsselimpulse zur Durchsetzung der Reformideen und zur Umsetzung des Neuen Bauens in Magdeburg.
Magdeburg als Reformstadt im Schulwesen
Neben den architektonischen und künstlerischen Entwicklungen während der Zeit der Weimarer Republik wurden auch neue Ansätze im Schulwesen möglich. Vor allem reformpädagogische Ideen setzten sich durch. Magdeburg war dabei ein Zentrum dieser Entwicklung. Hier sollte das dreigliedrige Schulsystem abgeschafft, Kirche und Staat getrennt werden und die Geschlechtertrennung in den Schulen wurde zum Teil abgeschafft. Hans Löscher wurde Stadtschulrat und begründete schon 1922 die erste reformpädagogische Versuchsschule. 1928 setzten die Magdeburger die städtische Selbstverwaltung im Schulwesen durch. Bereits davor wurden acht weitere Reformschulen eröffnet.
Generalsiedlungsplan Magdeburg von Bruno Taut
Die progressivsten Entwicklungen gab es jedoch in der Stadtplanung. Bereits 1913 hatte Bruno Taut die ersten Versuche mit dem Neuen Bauen in Magdeburg unternommen und entwickelte die Gartenstadt Reform, die erste Ansätze seiner Ideen durchblicken ließ. Aufgrund dieser gezeigten Werke berief Hermann Beims Bruno Taut 1921 zum Stadtbaudirektor von Magdeburg. Taut selbst baute zwar nur wenige Gebäude wie die Ausstellungshalle „Stadt und Land“ (heute Hermann-Gieseler-Halle), beeinflusste durch den Generalsiedlungsplan aber die Stadtentwicklung von Magdeburg auf Jahre hinaus.
Auch setzte er durch einen Aufruf zur farbigen Gestaltung der Fassaden Magdeburgs Akzente in der Presse, die der Stadt große Aufmerksamkeit brachten. Da er nach Fertigstellung des Generalsiedlungsplans kaum noch Möglichkeiten für sich in Magdeburg sah, verließ Taut seine Position in Magdeburg schon 1924 und begann in Berlin Großprojekte wie die Hufeisensiedlung. Sein Nachfolger in Magdeburg wurde Johannes Göderitz.
Hermann-Beims-Siedlung – Wohnen neu gedacht
Eine der bekanntesten Siedlungen der Magdeburger Moderne entstand westlich des Stadtzentrums an der Großen Diesdorfer Straße. Die Verantwortung trugen Johannes Göderitz zusammen mit Konrad Rühl, Gerhard Gauger, Adolf Otto und Willy Zabel. Die heute nach dem Oberbürgermeister Hermann Beims benannte Wohnsiedlung zeigt bis heute am besten, wie in Magdeburg die Ideen des Neuen Bauens umgesetzt wurden. Die neue Siedlung war grüner, die Innenhöfe größer, die Wohnungen hatten viel Licht und konnten einfach belüftet werden. Auch wurden die Häuser mit ihren Elementen wie Fenster und Türen farblich gestaltet. Beims sagte einst über sie:
„Die neuen Wohnungen sollen die Ansprüche auf Gesundheit, auf Wohlbefinden, auf Sonne, auf gute Luft, auf gute Kinderspielplätze und Grünanlagen befriedigen.“
Hermann Beims
Auch sollte es keine Seitenflügel und Hinterhäuser mehr geben. Das alles war eine erhebliche Verbesserung zu den Mietskasernen und alten Häusern in denen die Menschen durch die Industrialisierung dicht gedrängt zusammen gelebt hatten.
Die Wohnungsbaugesellschaft Magdeburg ist deshalb auch sehr stolz auf die Siedlung und hat deshalb eine der Wohnungen als Museums- und Musterwohnung eingerichtet. Insgesamt entstanden rund 2.000 Wohnungen in der Hermann-Beims-Siedlung, was nur rund ein Drittel der geplanten Wohnungen war. Nach der Hauptbauphase bis 1929 entstanden eher Gemeinschaftseinrichtungen, wie das bis heute erhaltene Kinderhaus Flechtinger Straße.
Wilhelm Deffke und die Deutsche Theaterausstellung 1927
Der bekannte Grafiker Wilhelm Deffke wurde 1924 auf Empfehlung von Bruno Taut Leiter der Reichszuckerausstellung in Magdeburg. Er hatte zu dieser Zeit schon bekannte Werbeplakate entworfen. Heute gilt er als der Vater des Logodesigns. Kurz darauf übernahm er den Posten als Leiter der Kunstgewerbeschule und wurde in diesem Rahmen auch verantwortlich für die Deutsche Theaterausstellung 1927. Diese Schau zeigte das Theaterwesen der Zeit umfassend. Es wurden revolutionäre Konzepte präsentiert. In den Vorstellungen gab es völlig neue Inszenierungen zu sehen, die ähnlich spektakulär waren, wie die von Les Kurbas im sowjetischen Charkiw dieser Zeit. Zeitungen aus Großbritannien, Frankreich und den USA berichteten über die Ausstellung und tatsächlich wurde Magdeburg für einige Monate zu einer Weltstadt, wie von Beims gewünscht.
Stadthalle – Meisterwerk der Magdeburger Moderne
Und auch die Ausstellungsflächen und -gebäude waren dafür mitverantwortlich. Für die Deutsche Theaterausstellung entstand in nur viereinhalb Monaten die Stadthalle im Rotehornpark nach Plänen von Johannes Göderitz und Wilhelm Deffke. Besonders auffällig ist die Stadthalle aber durch ihre Backsteinverblendung. Die Halle war dabei eingebettet in ein komplettes Konzept und bildete mit den anderen Gebäuden einen Innenhof. Die weiteren Ausstellungshallen sind jedoch durch den Zweiten Weltkrieg zerstört wurden. In den Stahlskelettbau wurden auch Glasbausteine integriert.
Der Saal war extrem wandelbar und konnte für viele Arten von Veranstaltungen genutzt werden. In den Saal ließen die Baumeister zudem eine riesige Sauer-Orgel einbauen. Sonntags wurden hier in den folgenden Jahren Konzerte veranstaltet. So wollten die Sozialdemokraten eine Alternative zu den Orgelkonzerten in den Kirchen bieten. Leider ging die Orgel mit der Inneneinrichtung der Stadthalle beim großen Bombenangriff auf Magdeburg 1945 verloren. Dennoch wurde die Halle wieder aufgebaut und wird auch heute noch für Konzerte genutzt.
Albinmüller-Turm – Kirchturm der atheistischen Kirche
Neben der Stadthalle entstanden noch weitere Bauten, die zum Ensemble gehörten. Der Albinmüller-Turm ist eines der Wahrzeichen der Stadt und durch seine ungewöhnliche Form und seinen Standort als Campanile eine echte Besonderheit. Zusammen mit der Stadthalle verstärkt sich hiermit der Eindruck einer atheistischen Kirche. Das 63 Meter hohe Gebäude diente auch schon bei der Theaterausstellung 1927 als Aussichtsturm und der gläserne Aufbau war damals gar ein Restaurant. Entworfen wurde er von Albin Müller, der sich als Künstler ganz einfach Albinmüller nannte.
Pferdetor – Vergessenes Wahrzeichen
Heute parken Autos neben dem Pferdetor und ermöglichen nur selten ein einwandfreies Foto. Das ist schade, denn dieses Symbol der Magdeburger Moderne verdient eigentlich eine viel größere Würdigung. Das Pferdetor war der nördliche Abschluss des Ensembles für die Theaterausstellung und die Hauptverbindung zwischen dem Ehrenhof und dem nebenliegenden Vergnügungspark. Weil die Bauleitung dem Künstler Albinmüller das Geld für den Entwurf nicht komplett bewilligte, warb er die Finanzierung dafür kurzerhand selber ein.
Lichtstelen – Erleuchtung für die neue Zeit
Lange Zeit fristeten die Lichtstelen, die extra für die Theaterausstellung 1927 errichtet wurden ein trauriges Dasein. Spaziergänger hielten sie für bessere Blumenkübel. Doch 2013 wurden sie umfassend saniert und erstrahlen im neuen Glanz. Die neun Meter hohen Lichtstelen sollten eine neue Ära verkünden, die von Erleuchtung geprägt war. Leider folgte auf sie eine der düstersten Epochen der deutschen Geschichte.
Andere Sehenswürdigkeiten der Magdeburger Moderne
Siedlung Cracau
Im Generalsiedlungsplan Magdeburg hatte Bruno Taut eine Siedlung in Magdeburg-Cracau bereits ausgewiesen. Hier stand zuvor ein großes Areal der Festung Magdeburg. Zunächst entstanden dreigeschossige Wohngebäude. Sie hatten Flachdächer, was eines der Prinzipien des Neuen Bauens war. Die meisten Gebäude entstanden zwischen 1929 und 1931. Sie kubisch angelegt, hatten große Innenhöfe, damit auch die unteren Geschosse ausreichend Licht erhielten.
Die abgerundeten Balkone geben ihnen einen interessanten Touch, ähnlich der Bauhaus-Bauten in Tel Aviv. Immerhin wurden hier, wie in der Beims-Siedlung, ebenfalls 2.000 Wohnungen gebaut. Das half enorm den Wohnungsmangel zu bekämpfen. Spätere Bauten in der Cracauer Siedlung verließen diesen Stil. 1938 erhielten die Gebäude ganz im Heimat-Kitsch-Stil der Nationalsozialisten wieder Satteldächer. Die Ära des Neuen Bauens hatte mit der Siedlung Cracau ein Ende gefunden.
Faber-Hochhaus
Eines der herausragenden Beispiele moderner Architektur in Magdeburg steht direkt am Hauptbahnhof. Hier war zudem früher mein eigener Arbeitsplatz. Also zumindest bei Veranstaltungen. Denn als Journalist habe ich mein Handwerk bei der Magdeburger Volksstimme gelernt, die bis heute zum Teil im Hochhaus des früheren Faber-Verlages sitzt. Auch damals habe ich die Form des Gebäudes bewundert und war besonders vom Glas-Penthouse begeistert.
Genau genommen ist es aber eine halbrunde Wetterwarte, die das Gebäude so besonders macht. Zusammen mit dem gläsernen Treppenturm wirkte das Gebäude seinerzeit vermutlich für die Verheißungen der neuen Zeit. Gebaut wurde es von 1930 bis 1932 und ist mit 45 Metern auch das erste Hochhaus der Stadt gewesen. Doch bereits kurz nach der Eröffnung wurde die Volksstimme des Faber-Verlages im April 1933 von den Nazis verboten. Nach dem Krieg wurde sie jedoch 1947 wiedergegründet und wurde die Bezirkszeitung der SED. 1992 kaufte der Bauer-Verlag aus Hamburg die Volksstimme und wollte das Gebäude abreißen lassen. Glücklicherweise wurde der Abriss vom Landesverwaltungsamt untersagt und so steht das Schmuckstück bis heute.
OLi-Kino
Das OLi-Kino in der Olvenstedter Straße wurde zwar erst 1936 und damit bereits im Nationalsozialismus eröffnet, es aber dennoch ein Denkmal des Neuen Bauens. Denn das Gebäude wurde bereits zuvor für die Firma Dehne gebaut. An den Eingängen gibt es bis heute auch noch Plastiken für die Speditionsfirma Dehne zu sehen, die von Rudolf Wewerka geschaffen wurden, der ein bedeutender Bildhauer war. Der Hausentwurf mit dem kubischen Erker stammte sogar von Carl Krayl. Das Programmkino ist bis heute ein kultureller Leuchtturm im Viertel.
Siedlung Heimat mit Bogenhaus
Nur ein paar Meter weiter ist noch ein weiteres Highlight des Neuen Bauens zu sehen: die Siedlung Heimat. Am Olvenstedter Platz ist hier auch noch das Bogenhaus zu sehen, das 1930 von Hans Holthey entworfen wurde. Der Name der Siedlung nordwestlich davon, geht auf die Magdeburger Heimat Gemeinnützige Bau- und Siedlungsgesellschaft zurück.
Auch hier gibt es große begrünte Innenflächen, die Licht in den Wohnungen der unteren Geschosse erlauben sollte. Da hier unterschiedliche Geschosse gebaut wurden, wirkt die Siedlung weniger monoton als andere. Die Gebäude sind zudem in seltsamen Formen angelegt, weil die Grundstücke zur damaligen Zeit bereits eine seltsame Form hatten und die Architektur der Siedlung dem Rechnung trägt.
Schiffshebewerk Rothensee
Durch die Verbreitung der Schifffahrt im ganzen Land wurde auch ein Ausbau der Wasserstraßen wichtig. Erst Mitte der Zwanziger Jahre wurden die Planungen für den Mittellandkanal, der eine Verbindung vom Ruhrgebiet nach Berlin schaffen sollte, fertig gestellt. Für die geplante Strecke war auch ein Schiffshebewerk notwendig, das dann auch in Magdeburg-Rothensee errichtet wurde. Verantwortlich war der Ingenieur Rudolf Mussaeus.
Für die technischen Herausforderungen wandte er Prinzipien an, die bereits von den U-Booten bekannt waren – das war in den Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts revolutionär. Durch das Prinzip schafft ein Motor mit der Leistung von nur 4 Mittelklasse-Autos es, Gewichte von 5400 Tonnen zu bewegen. Auch die Gestaltung ist sehr modernistisch und schlicht. Ein Besuch lohnt sich und sollte recht bald in Angriff genommen werden, denn wie lange das Hebewerk noch betrieben wird, ist unklar. Es gilt als kostenintensiv und könnte daher jederzeit stillgelegt werden. Ein besonderes Erlebnis ist auch eine Fahrt durch das Schiffshebewerk mit einem Ausflugsdampfer ab Magdeburg.
Magdeburg Buchtipps
Für eine mittlere Großstadt gibt es erstaunlich viele Bücher zu Magdeburg. Wir wollen aber die wichtigsten passend zum Thema vorstellen.
- Gabriele Köster (Hg.)(Autor)
Hermann Beims war die treibende Kraft hinter den Veränderungen der Magdeburger Moderne. Das Buch beschreibt, was sich unter ihm alles getan hat.
Dieser Führer erklärt alles zu Architektur und Städtebau in Magdeburg.
Der CityTrip Magdeburg von Reise Know-How liefert alle wichtigen Infos zur Stadt und zeigt die besten Ecken.