Die Solowezki-Inseln – Welterbeklöster, unberührte Natur und der Gulag

Heute nehmen wir euch mit in den russischen Norden und stellen euch die Solowezki-Inseln vor, wo wir auf Klöster, unberührte Natur und Gulag-Lager treffen.

Inhaltsverzeichnis

Südlich der Halbinsel Kola im äußersten Nordwesten Russlands erstreckt sich das Weiße Meer. Inmitten dieses im Winter bitterkalten Nebenmeers des Arktischen Ozeans liegt ein kleiner Archipel, die Solowezki-Inseln. Hier steht nicht nur ein Kloster, das heute zum Welterbe der UNESCO gehört, sondern hier wurde auch Russlands erstes großes Häftlingslager eingerichtet, das beispielgebend für das sowjetische Gulag-System wurde und Alexanders Solschenitzyn zu seinem Archipel Gulag inspirierte. Das wären schon genug Gründe, sich diese Region einmal genauer anzuschauen, aber auch die Natur weiß zu begeistern und steinzeitliche Steinlabyrinthe geben Wissenschaftlern hier immer noch Rätsel auf. Ihr seht, es gibt auf den Solowezki-Inseln einiges zu entdecken!

Das sind die Solowezki-Inseln

Die Inselgruppe besteht aus sechs großen Inseln, zu denen sich noch mehrere kleinere Eilande gesellen. Die größte der Insel ist mit einer Fläche von fast 250km² Bolschoi Solowezki („Groß Solowezki“). Anserski, die zweitgrößte Insel, ist mit knapp 50 km² fünfmal kleiner, Bolschaja Musalma mit 17km², Bolschoi Sajazki (1,25 km²), Maly Sajazki (1 km²) und Malaja Muksalma (0,6 km²) im Vergleich zu Bolschoi Solowezki winzig. Die Inseln befinden sich gut 500 km nördlich von Sankt Petersburg und nur gut 150 km südlich des Polarkreises. Das Klima hier ist kontinental geprägt. Eisigen Wintern folgen relativ warme Sommer, die auch für den Artenreichtum auf der Insel verantwortlich sind. Aber dazu später mehr. Aber wieso spielte diese abgelegene Landschaft in der Geschichte des Landes eine so große Rolle?

Die Geschichte der Inseln

Um diese Frage zu beantworten, muss man sich die Geschichte des Archipels vor Augen führen. Und die reicht angesichts der Abgeschiedenheit weiter zurück, als man zunächst vermuten würde. Bereits im 6. Jahrtausend v. Chr. gab es hier ständige Siedlungen. Erst viel später, nämlich im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr., entstanden die Steinlabyrinthe, die weiter unten beschrieben werden. Über die ersten Siedler ist nur wenig bekannt. Als gesichert gilt aber, dass hier im Frühmittelalter Saami und Karelier lebten.

Russische Besiedlung

Erst im 12. und 13. Jahrhundert kamen erstmals russische Siedler auf die Insel Bolschoi Solowezki. Unter ihnen befanden sich viele Mönche, die im 15. Jahrhundert ein Kloster gründeten. Das Kloster bestand ursprünglich nur aus drei Holzkirchen und wurde im Lauf der Zeit immer wieder erweitert. Es entwickelte sich in der Folge nicht nur zu einem bedeutenden geistlichen Zentrum, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht prächtig und von hier aus wurden Expeditionen gestartet, die die Missionierung der Saami zum Ziel hatten. Im 16. Jahrhundert wurde das Kloster zu einer Festung ausgebaut. Damals wurde es bereits als Verbannungsort genutzt, ab 1579 war hier ein Gefängnis in Betrieb. Verbannungen hatten eine lange Tradition und waren oft ein zeitlich begrenztes Mittel, um sich am Hofe unliebsamer Gegner zu entledigen.

Solowezki als Gefängnisfestung

Auf Geheiß des Zaren wurde das Kloster Solowezki zur Festung ausgebaut, während hier parallel weiterhin vor allem politische Gefangene interniert wurden. In der Folge kam es zu Verwerfungen zwischen den Mönchen und der Zentralkirche und wurde so zu einem Hort der Altgläubigen. Nach einer ersten erfolglosen Belagerung der Anlage wurden schließlich Anführer der Rebellen im Kloster hingerichtet. In der Folge gaben hier vor allem der Zar und die Bojaren den Ton an, der Widerstand der Mönche war gebrochen. Im Zuge der Kriege gegen Schweden konnte die Anlage mehrfach schwedischen Angriffen standhalten. Im 18. Jahrhundert sah das Kloster dann einen bedeutenden Besucher, denn mehrmals war hier Peter der Große zu Gast.

Dieses historische Gemälde zeigt das Kloster im Jahr 1780

Kurze Zeit der Ruhe und Machtübernahme der Kommunisten

1814 wurde beschlossen, die Verteidigungsstellungen aufzugeben und das Kloster, das sich mittlerweile nicht mehr am Rand des Reiches befand (das nahe Finnland war damals Teil des Zarenreiches), aufzulösen. Es folgt eine Phase der relativen Ruhe, die allerdings durch den Beschuss des Klosters durch britische Schiff während des Krimkriegs unterbrochen wurde.

Die Machtübernahme der Kommunisten in Russland am Abend des Ersten Weltkriegs hatte auch für das Kloster weitreichende Folgen. So wurden viele Mönche vertrieben, der letzte Prior des Klosters wurde sogar ermordet.

Solowezki
Strafgefangene beim Graben nach Ton

Gulag-Straflager

Die Kommunisten richteten 1920 auf dem Gelände des Klosters ein Zwangsarbeitslage für politische und vermeintlich kriminelle Häftlinge ein. Hierbei konnten sie auf die ehemals militärisch genutzten Gebäude zurückgreifen und aufgrund der Abgeschiedenheit der Inseln von der Öffentlichkeit unbeobachtet agieren. 1931 waren hier über 70.000 Häftlinge interniert, eine schier ungeheure Anzahl angesichts der Größe des Klosters. Eine wichtige Rolle spielte hierbei Naftali Frenkel, der hier eine „Urzelle des späteren sowjetischen Lagersystems der Stalinzeit“ einrichtete, wie es ein Historiker später beschrieb. Das Lager auf Bolschoi Solowki wurde so zum Vorbild für die später im „Großen Terror“ von Stalin forcierte Internierung von politischen Gegnern.

An der „Popularisierung“ dieser Art von „staatlicher Umerziehung durch harte Arbeit“ hatte übrigens kein Geringerer als Maxim Gorki maßgeblichen Anteil. Er besuchte das Lager 1929 und schrieb anschließend ein Loblied auf das Lager, in dem dem „kriminelle Elemente“ erfolgreich zu braven Sowjetbürgern erzogen wurden – natürlich nur, wenn sie nicht dabei starben. In den 30er-Jahren wurde das Kloster wieder in ein Gefängnis umgewandelt und noch vor dem Krieg aufgelöst, da es fortan wieder militärischen Zwecken dienen sollte. Über 800.000 Menschen hatten in nicht einmal 20 Jahren das Lager durchlaufen, viele fanden unter entsetzlichen Bedingungen den Tod. Folter und Krankheiten waren an der Tagesordnung. Ein Schicksal, das die Insassen mit denen in anderen Lagern, zum Beispiel in Sibirien, teilten.

Solschenizyn und die Solowezki-Inseln

Alexander Solschenizyn war ein bedeutender russischer Schriftsteller, der 1970 den Literaturnobelpreis erhielt. Sein bekanntestes Werk ist „Der Archipel Gulag“. Solschenizyn war nach dem Zweiten Weltkrieg selbst in einem Lager interniert und arbeitete nach seiner Freilassung fast zehn Jahre an dieser historischen Darstellung des sowjetischen Lagersystems. Er ließ die Arbeiten an dem Buch anschließend ruhen und widmete sich als Dissident der Kritik am sowjetischen System. Als der KGB das Manuskript fand, entschloss er sich, es zu veröffentlichen. Er hatte eine Kopie Ausland platziert und wies seine Vertrauten an, es zu veröffentlichen, was 1973 in Paris geschah.

Aber was hat der Archipel Gulag mit den Solowezki-Inseln zu tun? Nun, das Straflager hier war eine Blaupause für das Lagersystem in der Sowjetunion insgesamt und auch für Solschenizyn eine Quelle der Inspiration. Denn er bezeichnet die Gulag-Lager als eine Inselgruppe der Entrechtung und Entmenschlichung, genau wie die Solowezki-Inseln eine Inselgruppe darstellen. Nach der Veröffentlichung des Buches im Westen wurde Solschenizyn übrigens ausgewiesen und entkam so dem mittlerweile reformierten Inselsystem staatlicher Unterdrückung. Die Einnahmen aus dem Buch überließ er einem von ihm gegründeten Hilfsfond, der Oppositionelle und ehemalige Gefangene in der Sowjetunion und später in Russland unterstütze. Er lebte nach seiner Ausweisung in der Schweiz und den USA, kehrte aber nach der Wende nach Russland zurück. 2008 starb er in Moskau.

Solowezki Kloster

Das Kloster

Heute leben im Kloster wieder Mönche und bereits seit 1992 stehen einige Gebäude auf der Liste der UNESCO-Welterbestätten. Das Kloster kann heute wieder besichtigt werden, wobei das Gefängnis natürlich nicht mehr existiert. Interessant ist, wie Solwezki heute gesehen wird. Es dient als wichtiges Symbol des Narrativs einer heiligen christlichen Nation, wobei an die dunkle Vergangenheit nur wenig Gedanken verschwendet werden. So findet sich beispielsweise auf der russischsprachigen Wikipedia-Seite nur ein sehr kurzer Passus, der sich mit diesem dunklen Kapitel der sowjetischen Geschichte beschäftigt. Wie wichtig die Bedeutung des Klosters ist, könnt ihr auch daran erkennen, dass es die Rückseite der 500-Rubel-Scheine ziert.

Ihr könnt euch heute bei einem Besuch einen Eindruck von den dicken Wehrmauern verschaffen, die von insgesamt acht Türmen mit Haubenaufsatz und mehreren Toren unterbrochen werden. Auf dem Areal stehen mehrere Kirchen aus dem 16. bis 19. Jahrhundert, aber auch ein Speisesaal, eine alte Mühle und ein Glockenturm können besichtigt werden.

Das Solowezki-Gefängnis-Museum

Für das Solowezki-Gefängnis-Museum müsst solltet über über Grundkenntnisse des Russischen verfügen, denn leider ist die Ausstellung nicht auf Englisch. Die Ausstellung ist relativ klein, bietet aber durch ihre vielen Fotografien einen bedrückenden Einblick in das Leben im Gefängnis und Lager. Es gibt auf Bolschoi Solowezki übrigens noch ein anderes Museum. Es befindet sich unweit des Klosters und informiert über die Seefahrt und die Arktis-Expeditionen, die von hier aus starten. Hier könnt ihr auch Walbeobachtungstouren und Fahrten auf andere Inseln des Archipels buchen.

Die Natur auf den Solowezki-Inseln

Die Solowezki-Inseln verfügen aufgrund ihrer isolierten Lage über eine Art Mikroklima. Dieses sorgt für ein beispielhaftes Tier- und Pflanzenreichtum, weshalb heute viele Menschen nicht nur wegen des Klosters auf den Archipel reisen, sondern gerade auch, um die zahlreichen Naturschönheiten zu bewundern.

Die Pflanzenwelt

Die Solowezki-Inseln sind eine reiche Naturlandschaft, die insgesamt 548 Pflanzenarten umfasst. Es sind vor allem Gräser, Algen und Sträucher, die die lnseln prägen. Eine Besonderheit ist das Nichtauftreten von Pflanzen, die für derartige klimatische Bedingungen eigentlich ganz normal wären. Dieser Umstand kann durch die isolierte Lage der Inseln erklärt werden. Neben Gräsern und Sträuchern gibt es hier aber auch Kiefern- und Fichtenwälder und einige Sümpfe. Interessant ist der Umstand, dass genau hier die Grenze zwischen Tundra- und Taiga-Klima verläuft. Da es hier keinen Permafrost gibt und das Meer eine ausgleichende Wirkung auf das Klima hat, spricht man bei den Solowezki-Inseln auch von einer sogenannten Pseudotundralandschaft.

Solowezki Natur
Im Botanischen Garten geht es heute sehr beschaulich zu

Der Botanische Garten

Von der reichen Naturlandschaft könnt ihr euch im bereits 1822 geschaffenen Botanischen Garten von Bolschoi Solowezki überzeugen. Mönche nutzten ihn für die Erforschung der lokalen Flora und zur Entspannung. Auf einer Fläche von 5 ha könnt ihr euch hier einen Überblick über die vielen Zier- und Heilpflanzen verschaffen. Von den 1822 Ursprungspflanzen existieren heute keine mehr, einige Bäume sind aber schon über hundert Jahre alt.

Quelle: Kirill.uyutnov, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

Das Reich der Tiere

Weniger vielfältig gestaltet sich die Tierwelt. Dafür treten die hier lebenden Arten meist in großer Zahl auf. Ihr stoßt hier auf Eichhörnchen, Hasen, Füchse und sogar Rentiere. Auch gibt es zahlreiche Schmetterlingsarten. Ornithologen können hier 190 verschiedene Vogelarten beobachten, darunter Möwen, Seetaucher, Rebhühner, Auerhähne und Stockenten. In den Seen finden sich Barsche, Hechte und Quappen. Am spannendsten ist aber das Weiße Meer als Lebensraum. Mit Glück könnt ihr Robben, Weißwale und Fische wie Seehasen oder Heringe sichten. Für die Weißwale, von denen es noch etwa 80 gibt, wurde eine Schutzzone eingerichtet. Es ist verboten, in der Nähe des Kap Beluschiy an der Westküste von Bolschoi Solowezki entlangzufahren. Ihr könnt aber hierhin wandern und habt gute Chancen, die Wale zu sehen.

Quelle: Andrew Shiva / Wikipedia, CC BY-SA 4.0

Die Labyrinthe auf Bolschoi Sajazki

Mit einer Fläche von nur 1,25 km² ist Bolschoi Sajazki („Große Haseninsel“) winzig. Warum sich eine Fahrt hierhin dennoch lohnt? Hier liegen 14 der insgesamt 35 Steinlabyrinthe, die es auf dem Archipel gibt. Auf der ganzen Welt gibt es keine Ansammlung von so vielen von Menschenhand geschaffenen Labyrinthen wie hier. Aber auch sonst könnt ihr hier einiges entdecken, denn aus den lokalen Steinen wurden einige weitere Kunstwerke geschaffen. 850 sind es wohl insgesamt, darunter einige Dolmen.

Wer jetzt denkt, die Labyrinthe wären ein Gag einer findigen Tourismusorganisation, der täuscht sich. Sie stammen aus der Steinzeit und ihre genaue Funktion gibt Wissenschaftlern bis heute Rätsel auf. Möglicherweise sollen sie aber den Übergang von der Welt der Menschen in die Welt der Geister symbolisieren und den Menschen auf ihrer Reise ins Reich der Toten helfen. Ihr habt eine andere Theorie? Lasst sie uns gerne wissen und schreibt uns unten einen Kommentar!

Buchtipps

Ihr wollt euch noch näher mit den Inseln beschäftigen, plant eine Reise nach Russland oder wolltet schon immer mal Solschenizyns Meisterwerk lesen? Dann helfen euch die folgenden Buchtipps weiter!

Der Archipel Gulag*
  • Solschenizyn, Alexander (Autor)

Solschenizyns eindrückliches Bild des Gulag-Systems ist eine lesenswerte Mahnung und bietet tiefe und dunkle Einblicke in das sowjetische Lagersystem.

Der flott geschriebene Reisebericht legt seinen Schwerpunkt auf den russischen Norden und wartet mit tollen Bildern auf, die Lust auf eine Reise in den russischen Norden machen.

Der Kulturschock Russland erklärt, was es mit der russischen Seele wirklich auf sich hat, beleuchtet die Geschichte und Kultur des Landes und gibt euch wertvolle Verhaltenstipps für eure Russland-Reise.

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Markus Bingel hat lange in Polen, der Ukraine und Russland studiert und gearbeitet. Als Reisebuchautor zieht es ihn mehrmals im Jahr in die Länder des „Wild East“ – und noch immer ist er jedes Mal fasziniert von dieser Region. Als Co-Gründer des Blogs möchte er euch gerne die unbekannten, spannenden und immer wieder überraschenden Seiten Osteuropas vorstellen.

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