Die Feste Boyen – Eine preußische Festung mit bewegter Geschichte

In Lötzen (Giżycko) steht die gigantische Feste Boyen, eine preußische Verteidigungsanlage, die wir euch in diesem Beitrag einmal genauer vorstellen wollen.

Inhaltsverzeichnis

Lötzen (Giżycko) ist die größte Stadt an den großen masurischen Seen und trägt stolz den Titel „Segelhauptstadt Polens“. Viele besuchen Lötzen vor allem wegen des Strandes, des Kanals mit seiner Schwenkbrücke und seiner wunderschönen Lage am Löwentinsee (Jezioro Niegocin). Die Stadt bietet aber auch eine der historisch interessantesten Sehenswürdigkeiten der Region, eine alte preußische Festung. Wir wollen euch in diesem Beitrag die Feste Boyen einmal genauer vorstellen.

Feste Boyen
Bildnis Hermann von Boyens am Eingang über dem sogenannten Lötzener Tor

Die Geschichte der Feste Boyen

Hier, im ehemaligen Grenzgebiet zwischen Preußen und Russland, entstand zwischen 1844 und 1875 unter König Friedrich Wilhelm IV. eine rund 100 Hektar große Anlage, die strategisch günstig auf der Landenge zwischen dem Löwentinsee und dem Kissainensee eingerichtet wurde. Boyen war Teil einer ganzen Reihe von Festungsanlagen, die diesen militärisch sensiblen Bereich vor einem drohenden russischen Angriff sichern sollten. Initiator war der damalige preußische Kriegsminister Hermann von Boyen, der als Begründer der allgemeinen Wehrpflicht in Preußen gilt und auch heute noch namensgebend für die Festung ist. Mit der Planung der Anlage wurden General Ernst Ludwig von Aster, der sich bereits mit dem Bau moderner Festungsanlagen entlang des Rheins hervorgetan hatte, und Oberst Johann von Bress-Winiary beauftragt.

Aufbau der Festung

Es entstand ein gigantischer Komplex in Form eines Sterns mit sieben Zacken, der durch Mauern und Gräben gesichert wurde und strategisch ideal auf einer Anhöhe lag. Sechs Bastionen, unzählige Kasernen und Wirtschaftsgebäude umfasste der Bau, für den insgesamt rund 16 Mio. Ziegelsteine benötigt wurden. Die gewaltigen Investitionen sollten sich bezahlt machen. Zwar entwickelte sich die Kriegsführung zwischen Mitte des 19. Jahrhunderts und dem Ersten Weltkrieg rasant weiter und viele Festungen verloren aufgrund neuer Artillerietechnik an Bedeutung, die Feste Boyen erwies sich aber als uneinnehmbar.

Feste Boyen Kanone
Auf dem Gelände der Feste Boyen stehen noch zahlreiche Kanonen

Die Festung im Ersten Weltkrieg

1914 wurde Boyen beim Vormarsch der russischen Truppen auf Ostpreußen zwar belagert, konnte aber nicht eingenommen werden. Die Aufforderung zur Kapitulation lehnte Oberst Busse, der Kommandant der Festung, mit den Worten „die Feste Boyen wird nur als Trümmerhaufen übergeben“ ab. Den Bastionen konnte der Angriff nichts anhaben und so steht die Festung noch heute am Rande Lötzens. Nicht nur konnte die Festung einem Angriff standhalten, sie sorgte auch dafür, dass die Truppen unter General Kondratew einen riesigen Umweg um den Spirdingsee machen mussten, um der Narew-Armee unter General Samsonow beistehen zu können.

In der Festung wurde im Ersten Weltkrieg sogar eine eigene Zeitung herausgegeben

Der Zweite Weltkrieg: Russische Truppen auf der Seite der Deutschen

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Anlage dann von der Abwehr, dem deutschen Geheimdienst unter Admiral Canaris, genutzt. Hier spielte sich eine vielen unbekannte Episode des Zweiten Weltkriegs ab: In den Kriegsgefangenenlagern der Deutschen befanden sich Millionen von sowjetischen Gefangenen. Angesichts der immer schneller voranschreitenden deutschen Gebietsverluste im Osten versuchte man, einen Teil von ihnen für die deutschen Zwecke zu gewinnen (oft der einzige Ausweg, die katastrophalen Bedingungen innerhalb der Kriegsgefangenschaft zu überleben).

Unter General Wlassow wurde hier eine neue Truppe initiiert, die sogenannte Russische Befreiungsarmee, die von November 1944 bis Mai 1945 existierte. Die formal der Wehrmacht unterstellte, zweitweise rund 100.000 Mann starke Armee war unter anderem auf der Schwäbischen Alb und in Dänemark stationiert und kämpfte auf Seiten der Nazis gegen die Sowjetunion, aber auch in Belgien, Italien, Frankreich und Finnland. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Angehörigen der Wlassow-Armee nach der Rückkehr in die Heimat meist in sibirische Arbeitslager deportiert, während ihre Anführer hingerichtet wurden.

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs waren in der Feste Boyen noch insgesamt 18.000 (!) deutsche Soldaten stationiert, letztlich wurde sie aber angesichts des raschen Vormarschs der Roten Armee kampflos geräumt, sodass sie heute noch genau so wirkt wie zum Zeitpunkt ihrer Errichtung vor fast 200 Jahren. Interessantes historisches Detail: Die Festung verfügte auch über ein Labor, in dem die Essensqualität der Speisen getestet wurde, die Hitler und seine Handlanger in der Wolfsschanze zu sich nahmen (im Artikel dazu beschreiben wir die Wolfsschanze und ihre Geschichte, aber auch andere deutsche Anlagen ausführlich).

Die Zeit nach dem Krieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Anlage der polnischen Armee übergeben. Diese überließ das Areal teilweise einigen staatseigenen Firmen, die hier Lebensmittel produzierten. Die meisten von ihnen wurden 1989 aufgelöst. Nach dem Abzug der Armee nach der Wende war die Anlage für jedermann zugänglich. Was nett klingt, hat leider dazu geführt, dass vieles zerstört wurde, ganze Gelage fanden in der Feste statt. Seit 1994 kümmert sich aber ein sehr engagierter Verein um die Feste Boyen, der sich um die Pflege der Anlage kümmert und auch das Museum unterhält.

Feste Boyen
In den Räumen, die sich an diesen Gang anschließen, ist eine spannende Ausstellung untergebracht

Aufbau der Feste Boyen

Die Festung Boyen ist wie eine vaubansche Anlage sternförmig aufgebaut. Insgesamt gibt es sechs Bastionen, die auch heute noch die Namen Leopold, Ludwig und Hermann (die Vornamen Boyens) sowie Recht, Schwert und Licht tragen. Die Anlagen wird von einer riesigen Backsteinmauer umgeben, die sich auch heute noch in einem hervorragenden Zustand befindet. Nähert man sich der Anlage von außen, stößt man zuerst auf verschiedene Wachanlagen. Anschließend folgen mehrere, über das Areal verteilte Kasernen, die sich oberhalb einer Vertiefung befinden, die ein wenig einem Vulkankrater gleicht.

Im Innern dieses „Kraters“ stehen unterschiedliche Gebäude, die teil eine militärische Bedeutung hatten, teilweise aber auch der Versorgung der Soldaten mit Lebensmitteln dienten. Aber auch der Untergrund wurde genutzt, unter anderem befinden sich hier ein Pulverlaboratorium, mehrere Schutzräume und Verwaltungsgebäude.

Feste Boyen
Was hier wohl mal untergebracht war? Die Feste Boyen ist ein Ort für Entdecker und Fans von Lost Places. In diesem Fall handelt es sich um die Taubenstation, von der aus Nachrichten per Brieftaube an andere Stellen verschickt werden konnten.

Was gibt es heute noch zu sehen?

Eine ganze Menge! Die Festung befindet sich heute angesichts ihres Alters immer noch in einem bemerkenswerten Zustand, selbst überwucherte Bereiche der fast 2,5 km langen Außenmauern sind hervorragend erhalten. Auf drei Routen könnt ihr heute problemlos durch das Areal spazieren und euch die Ausstellungen ansehen, die hier untergebracht sind. Ihr solltet unbedingt am Eingang einen Plan mitnehmen, um euch nicht zu verlaufen und für den Besuch zwei bis drei Stunden einplanen.

Wie ihr auf den Bilder sehen könnt, befinden sich leider längst nicht alle Gebäude in einem guten Zustand. Zwar beherbergen einige restaurierte Orte moderne Ausstellungen, zum Beispiel zur Geschichte der Anlage oder mit Militärfahrzeugen. Andere aber sind leicht verfallen und mit Graffitis übersäht. Es macht aber Spaß, sich einfach mal umzusehen und das riesige Areal zu erkunden. Es gibt buchstäblich an jeder Ecke etwas zu sehen gerade der Mix aus halb verfallenen Anlagen und restaurierten Gebäuden hat seinen Reiz.

Feste Boyen
So sieht der Eingangsbereich mit dem Originalschriftzug heute aus

Euer Besuch in der Feste Boyen

Im August finden hier und in der Umgebung übrigens monumentale Vorführungen statt, die an die Schlachten in Ostpreußen im Ersten Weltkrieg erinnern. Im Sommer ist die Festung täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet, der Eintritt beträgt nur 15 Złoty, im Winter kommt ihr sogar kostenlos rein, dann ist der Zutritt aber nur bis 15 Uhr möglich. Auf der Website könnt ihr euch weiter über die Anlage informieren. Es gibt auch ein Amphitheater, in dem immer wieder verschiedene Veranstaltungen stattfinden.

Feste Boyen
Ein Beispiel für ein Gebäude, das stark renovierungsbedürftig ist. Und auch wenn man es kaum glauben kann: Das war mal eine Art Fitnessstudio für die hier stationierten Soldaten.

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Markus Bingel hat lange in Polen, der Ukraine und Russland studiert und gearbeitet. Als Reisebuchautor zieht es ihn mehrmals im Jahr in die Länder des „Wild East“ – und noch immer ist er jedes Mal fasziniert von dieser Region. Als Co-Gründer des Blogs möchte er euch gerne die unbekannten, spannenden und immer wieder überraschenden Seiten Osteuropas vorstellen.

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