Die Felszeichnungen von Qobustan

Felsbilder stehen in der Kunstgeschichte am Beginn menschlicher Kreativität. Hier stellen wir euch die Felszeichnungen von Qobustan in Aserbaidschan vor.

Inhaltsverzeichnis

Felsbilder stehen in der Kunstgeschichte am Beginn menschlicher Kreativität und üben seit jeher eine besondere Faszination aus. Der Qobustan-Nationalpark in Aserbaidschan liegt etwa 50 Kilometer südlich von Baku und gilt unter Forschern als eine der ältesten Siedlungen der Welt. Der sich über 44 km² erstreckende Qobustan-Nationalpark umfasst neben dem Plateau Cinqirdağ (236 m) die Berge Böyküdaş (201 m) und Kiçikdaş (117 m). Die Felszeichnungen wurden 2007 zum Weltkulturerbe der UNESCO ernannt und sind eines der absoluten Highlights jeder Aserbaidschan-Reise. Grund genug, euch eine der TOP 10 Sehenswürdigkeiten in Aserbaidschan hier einmal genauer vorzustellen.

aserbaidschan sehenswürdigkeiten
Die Landschaft im Qobustan-Nationalpark wird auch von Naturerscheinungen wie diesem Feuer geprägt

Entdeckung auf der Suche nach Öl

Dieses historisch bedeutsame Erbe wurde erst in den 1930er Jahren entdeckt, als auf der Suche nach Ölquellen eine Straße durch die Felsformation oberhalb der ansteigenden Steppe gebaut werden sollte. Bis dato war niemand darauf gekommen, in diese bizarre Welt aus Steinen und Schlammvulkanen vorzudringen.

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Foto: Azerbaijan Tourism Board

Mysteriöse Kunstwerke

Vor Jahrtausenden erstreckte sich in dem Gebiet mit mehr als 300 Schlammvulkanen eine fruchtbare Savanne mit reichem Wildbestand. Zu der Zeit hatte das Kaspische Meer einen ca. 25 Meter höheren Wasserspiegel und reichte demnach bis in die Nähe dieser eigenwilligen Bergformationen. Vor der sowjetischen Invasion in den 1930er Jahren lebten in dieser Gegend Hirten mit ihren Herden. Die vermeintlich bis zu 11.000 Jahre alten Felszeichnungen fielen einem Steinbrucharbeiter auf, der sich im Zuge des Neuerschließungsprojektes von bewohnbarem Land einen Weg durch die gewaltigen Blöcke bahnen sollte. Daraufhin wurden die aus dem fernen Moskau angeordneten Sprengungen eingestellt.

Erste Untersuchungen

Der führende aserbaidschanische Archäologe Isak Jafarzade bekam den Auftrag, die eigenwilligen Zeichnungen unter die Lupe zu nehmen. Im Laufe der umfangreichen Untersuchungen, die bis 1965 dauern sollten, fanden sich auf 750 Felsvorsprüngen verschiedene Arten von Petroglyphen. In der 1973 von Jafarzade veröffentlichten Monografie ist die Rede von 3500 Felszeichnungen. Bis heute wurden 6000 Zeichen gelistet, die zur Besichtigung freigegeben sind. Auffallend ist, dass die Gravuren zwischen 1 und 30 Millimetern tief sind. Die Tatsache, dass die meisten Felszeichnungen sich nicht auf den Felsen, sondern in den Felshöhlen befinden, deutet darauf hin, dass die Bewohner dort Schutz suchten.

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Foto: Azerbaijan Tourism Board

Ein einzigartiges nationales Erbe

Im zum Nationalpark gehörenden, zwei Kilometer südlich gelegenen Museum sind wertvolle Funde wie Töpferarbeiten, Pfeilspitzen und Ähnliches ausgestellt. Im dazugehörigen Magazin lagern mehr als 50.000 Fundstücke, die einer genaueren Untersuchung oder Deutung harren. Von besonderer Bedeutung sind dabei Überreste von Broten (aus Weizen und Gerste) aus Asien. In den frühen Publikationen über Qobustan fanden sich keinerlei Hinweise auf Zusammenhänge mit ähnlichen Strichzeichnungen aus dem Siedlungsraum der Turkvölker. Der Ministerrat der Aserbaidschanischen SSR erklärte im Jahr 1966 die Monumente von Qobustan zum „historisch-archäologischen Erbe Aserbaidschans“. Es wird angenommen, dass nur 5% der ursprünglichen Felszeichnungen erhalten geblieben und die restlichen Zeichnungen im Laufe der Jahrhunderte verwittert sind.

In der von der Archäologin Firuze Muradova verfassten und 1979 in Baku erschienen Monographie „Qobustan“ stößt der Leser auf eine Vielzahl von Zitaten aus einschlägigen Werken, allerdings nur auf vier von westlichen Autoren verfasste Referenzenzwerke. Alle anderen Quellen sind sowjetischen Ursprungs.

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Eine typische Felszeichnung

Wale, Löwen und Amazonen

Die Zeichnungen waren zunächst mit Naturfarben, hauptsächlich Ocker, eingefärbt worden. Zu erkennen sind wilde Stiere, Rene, Schlangen, Löwen, Gazellen, Wildschweine und Ziegen, die sich in Fallen verfangen und domestizierte Hunde, die als Jagdgehilfen eingesetzt wurden. Fische und sogar Wale könnten auf den einstmals höheren Meeresspiegel hindeuten. Außerdem sind Zeichnungen von Tänzern und Frauen zu finden. Auf dem Felsen in einem Hohlraum verborgen tauchen „die acht Schönheiten“ auf, acht weibliche Gestalten mit schmaler Taille und breiten Hüften. Ihr reicher Schmuck könnte auf eine göttliche Abstammung verweisen. Hinter ihnen sieht man Bögen, die aus ihnen Amazonen gemacht haben könnten. 

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Handel mit Skandinavien?

Als im Jahr 1981 der norwegische Forscher Thor Heyerdahl als Gast der Akademie der Wissenschaften der UdSSR nach Aserbaidschan eingeladen wurde, besuchte er Qobustan und wunderte sich über eine bestimmte Art der Darstellungen von Schilfbooten, die ein Sonnensymbol auf der Bugspitze aufwiesen. Er vermutete anhand dieser Funde einen kulturellen Austausch zwischen Aserbaidschan und Skandinavien. In seiner Heimat Norwegen hatte er ähnliche neolithische Zeichnungen von Booten gefunden. Was seine Theorie untermauert, ist die Tatsache, dass man in den Überresten der einstigen Siedlungen von Qobustan Muscheln fand, die nachweislich niemals im Kaspischen Meer vorkamen. In Augenschein zu nehmen sind diese Muscheln im Museum von Qobustan.

Heyerdahl schrieb:

„Es ist meine Überzeugung, dass Aserbaidschan vor Zeiten ein wichtiges Zentrum war, von dem aus Menschen in alle Welt gingen und umgekehrt. Wie bedeutsam Aserbaidschan für die Entwicklung der Zivilisation ist, beweisen die Petroglyphen von Gobustan. Eines steht fest: Seefahrt ist älter als Zivilisation. Bislang nahm man das Gegenteil an. Doch das entspricht nicht der Wahrheit. Denn im Gegensatz zu dieser Annahme wissen wir heute, dass es am Anfang Menschen gab, die hochseetüchtige Boote bauten und erst in der Folge lernten sie einander kennen, konnten Handel treiben, und voneinander lernen. Diese friedliche Zusammenarbeit ermöglichte erst die Herausbildung einer durch Technik und Wissenschaft verfeinerten, einmaligen Lebensform – eben unsere Zivilisation“.

In seinem letzten Buch „Auf der Suche nach Odin“ kam er anhand von Auswertungen zu dem Schluss, dass die Geschichte der Wikinger auch in Aserbaidschan Spuren hinterlassen hat. Allerdings wurde seine Theorie von der Wissenschaft angezweifelt.

Die Römer in Aserbaidschan?

Um die Felszeichnungen von Qobustan rankten sich allerlei Theorien. Das Rätsel der Felszeichnungen ist bis heute nicht vollständig gelöst. Auch ein seltsam aus der Zeit gefallener, frisch sanierter und „signierter Stein“, der von den Legionären des römischen Kaisers Domitian mit einer Inschrift versehen worden sein soll, wirft Fragen auf. Domitians Legion soll um 80 n. Chr. bis in diese Region am Kaspischen Meer vorgedrungen sein. Aus unerfindlichen Gründen wurde dieser Stein jedoch nicht auf den Berg hinaufgetragen, sondern verblieb unten. Vermeintlich ist diese Inschrift der östlichste Schriftzug in lateinischer Sprache, der bis heute entdeckt wurde.

Der so genannte „Tamburin-Stein“ (gaval daş) unweit des Museumseingangs erzeugt Töne, wenn man mit einem anderen Stein dagegen schlägt, die denen eines Tamburins ähneln. Es handelt sich hier um eine eigens zu Demonstrationszwecken angefertigte Miniatur, da der Original-Tamburin-Stein in einem unwegsamen Gelände weiter oben in den Felsen liegt.

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Foto: Azerbaijan Tourism Board

Das Museum

In dem zum Ensemble gehörenden, sehenswerten Museum finden sich umfangreiche Informationen zu den Petroglyphen in Qobustan, aber auch zu ähnlichen Funden in anderen Ländern. In didaktisch gut aufbereiteten Ausstellungsräumen wird die Geschichte der Felszeichnungen anhand von Exponaten und Texttafeln über Touchscreen erlebbar. 

  • Das Museum Qobustan ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet.
  • Anfahrt: Von der Bakuer Metrostation 28. Mai fährt der Bus 195 nach Qobustan, alternativ geht es für wenige Euro mit dem Taxi dorthin.

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Wie hat euch unser Ausflug in den Qobustan-Nationalpark gefallen? Lasst es uns wissen und schreibt uns einen Kommentar!

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Heike Maria Johenning ist studierte Übersetzerin und Romanistin. Seit 1996 arbeitet sie als freiberufliche Autorin und Übersetzerin. Sie hat zahlreiche Reise- und Architekturführer veröffentlich, die bei Reise Know-How und dom Publishers erschienen sind. In ihren Büchern beleuchtet sie ein im Westen nahezu unbekanntes Phänomen, den Jugendstil in Osteuropa. Derzeit arbeitet sie an einem neuen Titel zur „Jugendstil-Architektur in Berlin“.

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