Heute nehmen wir euch mit nach Masuren ins tiefste ehemalige Ostpreußen. Eingerahmt vom Dargeimer See (Jezioro Dargin), Lababsee (Jeziro Łabap) und Mauersee (Jezioro Mamry) liegt abseits sämtlicher Hauptrouten das verschlafene Dorf Sztynort, das bis 1928 Groß Steinort und dann bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs schlicht Steinort hieß. Nur 170 Einwohner zählt der Ort mit seiner kleinen Marina heute noch. Allerdings kann er auf eine interessante Geschichte zurückblicken und verfügt mit dem Schloss Steinort über einen Komplex, der einerseits die dunkelste Phase in der Geschichte der Beziehungen zwischen Polen und Deutschen widerspiegelt, andererseits aber auch Hoffnung für eine friedliche gemeinsame Zukunft macht.
Die Geschichte von Steinort
Schon im 16. Jahrhundert wurde das ostpreußische Adelsgeschlecht der Lehndorffs mit einem Lehen bedacht, welches das Dorf und seine Umgebung umfasste und als Steinorter Wildnis bekannt war. Steinort entwickelte sich zum Stammsitz des Adelsgeschlechts und bereits im 17. Jahrhundert wurde das heutige barocke Schloss Steinort errichtet. Bereits einige Jahre zuvor legte die Familie den noch heute existierenden Schlosspark nebst Eichenallee an. Das prächtige Anwesen verfiel Anfang des 20. Jahrhunderts und wurde in den 1930er-Jahren restauriert. Heinrich Graf von Lehndorff, Enkel des gleichnamigen preußischen Generals, war der letzte deutsche Schlossherr.
Berühmte Gäste
Ab 1941 teilte er sich das Schloss mit dem Nazi-Außenminister von Ribbentrop, der vor allem wegen des von ihm unterzeichneten Hitler-Stalin-Pakts bekannt ist und den linken Gebäudeflügel bewohnte. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion hatte die Reichsregierung ihre Aktivitäten nach Masuren verlegt, um den Krieg gegen die Sowjetunion von hier besser koordinieren zu können. Die Anlagen Mauerwald und Wolfsschanze waren von hier aus gut zu erreichen und so war das herrschaftliche Steinort ideal für die Belange des Ministers.
Ein Hort des Widerstands
Von Lehndorff war ein enger Freund der oppositionell eingestellten Marion Gräfin Dönhoff, die ihn hier mehrmals besuchte. Er wurde im Zweiten Weltkrieg Augenzeuge eines Massakers an 7000 Juden im heutigen Belarus und schloss sich der Widerstandsgruppe gegen das Regime um Graf von Stauffenberg an. Im Schlosspark trafen sich Mitglieder des Widerstands und schmiedeten hier ihre Pläne zur Ermordung Hitlers und zum Sturz des Regimes – und dass zu einer Zeit, als der NS-Außenminister nur wenige Meter entfernt vielleicht gerade einen Tee trank. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler (mehr zum Thema findet ihr in unserem Wolfsschanze-Artikel) wurde von Lehndorff gemeinsam mit anderen Widerständlern zum Tode verurteilt und hingerichtet. Daraufhin wurde die Familie von den Nazis enteignet.
Ein Schatz, der im Kamin versteckt wurde
Klugerweise hatte Heinrich von Lehndorff da aber schon einen großen Teil seiner Besitztümer zu einem befreundeten Adligen nach Burg Kriebstein in Sachsen bringen lassen (andere Quellen sagen, Gräfin Dönhoff hätte dies getan). Erst 1986 fand man den Schatz durch Zufall dort in einem Kamin. Gemäß dem Willen der Witwe von Lehndorffs soll der Schatz, der Silber-, Porzellan- und Goldarbeiten sowie einen großen Gobelin-Teppich umfasst, zukünftig auf Schloss Steinort gezeigt werden.
Sztynort nach dem Krieg
Die Betonung liegt auf dem Wort „soll“, denn leider befindet sich das Schloss in einem bemitleidenswerten Zustand. Es wurde nach dem Krieg zunächst von der Roten Armee, dann von einer Landwirtschaftlichen Produktionsgemeinschaft genutzt und kam in den 1990er-Jahren in private Hände. Der neue österreichische Besitzer war aber finanziell nicht im Stande, die dringend notwendigen Sanierungsmaßnahmen in Angriff zu nehmen.
Ein neuer Besitzer und eine neue Hoffnung
Erst vor wenigen Jahren übernahm eine deutsch-polnische Stiftung die Anlage, seitdem kümmern sich Experten von der TU Dresden um deren Restaurierung, wobei zunächst einmal sichergestellt werden musste, dass das Schloss nicht einstürzte. Schloss Sztynort, so der polnische Name, konnte so buchstäblich in letzter Sekunde gerettet werden.
Die Arbeiten schreiten voran
Mittlerweile tut sich hier eine ganze Menge, auch der verwilderte Schlosspark wurde von deutschen Jugendlichen bearbeitet und ist nun wieder begehbar. Das Schloss hingegen wird von den Dresdner Experten behutsam restauriert, unter anderem entwickelte ein Student ein eigenes Verfahren zur Sicherung der Holzbalken. Schon jetzt ist eine kleine Ausstellung in einem Nebenflügel des Schlosses zu sehen, die über die Geschichte dieses Ortes informiert. Künftig sollen wieder Gruppen durch das Anwesen geführt werden können. Ende 2020 erhielt man zudem die Genehmigung, hier ein Café einzurichten. Im Folgenden will ich euch mal zeigen, was sich schon so alles getan hat.
Fundament
Als allererstes musste das Fundament gesichert werden. Mit den Arbeiten wurde die masurische Firma Hohlbud beauftragt. Durch den nahen See und die strengen Winter im ehemaligen Ostpreußen drohte das Schloss auch wegen des Fundamentes einzustürzen. Ein neues Drainagesystem und eine Weiterführung der Kanalisation ist an der Nord- und Ostseite des Schlosses bereits fertig. Hier wie auch in anderen Teilen Gebäudes hat sich gezeigt, dass die Zusammenarbeit deutscher und polnischer Experten auch während der Corona-Pandemie bestens funktioniert.
Dach und Balken
Ein besonderes Highlight sind die bemalten barocken Deckenbalken im Schloss, die insgesamt eine Fläche von 2000 m² einnehmen und derzeit behutsam instand gesetzt werden. Von ihrer Pracht kann man sich immerhin jetzt schon anhand der historischen Fotos in der kleinen Ausstellung informieren. Ein Teil von ihnen wurde bereits abgebaut und zur Sanierung ins baden-württembergische Trossingen gebracht. Hier kümmern sich die Holzleimexperten um eine Analyse und entwickeln die für die Balken ideale Methode, die beim Rest des Gebäudes dann vor Ort angewendet werden soll.
Probleme machen allerdings die Balkenaufleger. Professor Wolfram Jäger, der die Arbeiten überwacht, sieht vor allem die schlechte Qualität der Balkenaufleger als Problem und will dieses dank eines von ihm entwickelten Verfahrens mit Carbonelementen beheben.
Unterwegs im Innern
Auch das Innere musste gesichert werden, da verschiedene Gebäudeteile drohten, buchstäblich auseinanderzudriften. Gerade die Nordwestecke des Gebäudes neigte sich gefährlich nach außen. Hierfür setzte man auf eine neuartige Technik aus Glasfaserankern, die hier erstmals überhaupt eingesetzt wurden. Wie ein Gürtel halten die Kabel auf Höhe des Obergeschosses nun den Komplex zusammen.
Beim Gang durch die gut gesicherten Gänge musste ich bei meinem Besuch trotzdem einen Bauhelm tragen, da weiterhin ein kleines Restrisiko besteht, dass mir einer der Balken auf den Kopf fällt. Der Ingenier Fabian Meyer von der TU Dresden erzählte mir dann, dass das was ich sehe relativ ungewöhnlich ist. Schloss Steinort wurde nämlich nie umgebaut. Und obwohl der Zustand noch immer schlecht ist, ist es der Originalzustand und schon deshalb sollte man dieses einzigartige Baudenkmal sichern.
Retter gesucht
Wenn ihr bei der Restaurierung des Schlosses helfen wollt, könnt ihr das gerne tun. Auf dieser Seite findet ihr ganz unten einen Hinweis auf das Spendenkonto zur Erhaltung und Wiederherstellung des Schlosses. Denn auch wenn der Bundestag bereits 1,5 Mio. Euro zur Sicherung des Schlosses zur Verfügung gestellt hat, wird dies nicht reichen.
Schlosspark
Neben dem Schloss gibt es in dem kleinen Ort aber noch mehr zu sehen. Es steht auf einem Hügel, der zum See im Südwesten hin abfällt. Nordwestlich schließt sich hingegen ein Park mit breiten Eichenalleen an, der später in einen englischen Landschaftsgarten umgestaltet wurde. Der Park verfügt über ein neoklassizistisches Teehaus aus der Feder von Carl Gotthard Langhans, der sich mit dem Brandenburger Tor in Berlin unsterblich machte.
Mausoleum
In Steinort steht auf der gegenüberliegenden Seite des kleinen Steinortsees an einem Stichkanal auch das sehenswerte Familienmausoleum der von Lehndorffs. Die von Friedrich August Stüler, dem Erbauer des Neuen Museums in Berlin und Mitgestalter des Schweriner Schlosses, im 19. Jahrhundert gestaltete Familiengrabkapelle kann gemütlich im Rahmen eines Spaziergangs erkundet werden und wurde erst 2020 vor dem Verfall gesichert. Daneben befindet sich auch ein kleiner Friedhof.
Der See
Der Steinorter See unterhalb des Schlosses verfügt über eine kleine Marina und ist bei Segler ein beliebter Anlegeplatz. Über einen Kanal ist er mit den großen masurischen Seen verbunden und ein idealer kleiner Zufluchtsort für alle, die die überfüllten Anleger in anderen Orten meiden wollen. Wenn ihr also mit dem Segel- oder Hausboot unterwegs seid, solltet ihr hier unbedingt vorbeischauen.
Buchtipps
Ihr wollt noch mehr über die Region erfahren? Dann helfen euch unsere Buchtipps weiter!
- Bingel, Markus(Autor)
Ihr habt Lust auf eine Reise nach Masuren bekommen? Dann bestellt jetzt meinen Reiseführer Masuren aus dem Reise Know-How Verlag!
Wie sah das Leben in Masuren vor dem Krieg aus? Die Autorin erzählt viele Geschichten und Anekdoten aus ihrer Kindheit und zeichnet so ein umfassendes Bild des masurischen Alltags.
Wie hat euch unser Ausflug nach Steinort gefallen? Lasst es uns wissen und schreibt uns einen Kommentar! Und folgt gerne Wildeast auf Facebook oder Pinterest, um immer über die neuesten Artikel auf dem Laufenden zu bleiben.