Fliegende Teppiche – Das Geheimnis der aserbaidschanischen Teppiche

Heute stellen wir euch fliegende Teppiche vor. Ihr habt richtig gehört, denn das UNESCO Welterbe Aserbaidschans umgibt ein ganz besonderer Zauber.

Inhaltsverzeichnis

Die Teppichweberei ist bis heute das wichtigste nationale Kunsthandwerk Aserbaidschans. In der Fachliteratur wird davon ausgegangen, dass die Geburtsstätte der Teppichkunst im Kaukasus liegt. Bewiesen werden konnte das bisher nicht, da nur wenige Exemplare aus dem 17. Jahrhundert erhalten sind. Einige schriftliche Belege datieren die Anfänge auf das Jahr 450 v. Chr. Seit 2010 ist die Teppichweberei immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe. Teppiche waren vor dem Öl die wichtigste Einnahmequelle Aserbaidschans. In den Kulturen des Orients werden ihnen ungeahnte Zauberkräfte zugeschrieben (Stichwort: Fliegende Teppiche), aber nicht nur dort …  

Teppichmotive

Die Qualität eines Teppichs wird durch die Anzahl der Knoten bestimmt, die zwischen 160.000 und 400.000 variieren kann. Je nach Herstellungstechnik werden die Teppiche in zwei unterschiedliche Gruppen eingeteilt: in gewebte und geknüpfte Teppiche.

Eines der beliebtesten Motive auf Orientteppichen ist „Buta“. Dabei handelt es sich um ein geschwungenes Mandelmotiv mit einer umgebogenen Spitze, das aller Wahrscheinlichkeit nach von der Zypresse stammt. In Europa entstand daraus das nierenförmige Motiv des Paisley-Musters. Vielfach wird die Form als Flamme oder Palmblatt gedeutet und mit dem Feuerkult der Anhänger Zarathustras in Verbindung gebracht.

Das rautenförmige Kreuz mit Haken an allen vier Seiten ist ebenfalls ein wiederkehrendes Motiv, das mit Fruchtbarkeit und Reichtum assoziiert wird.

Im 14. und 15. Jahrhundert tauchte erstmals das Drachenmotiv auf Teppichen auf. Es ist Ausdruck des Ausbaus der Handelsbeziehungen zwischen China und Ostasien. Eine Besonderheit der textilen Erzeugnisse Aserbaidschans ist eine ab dem 17. Jahrhundert weit verbreitete Verwendung von Gold- und Silberfäden in der Seidenweberei, aber auch in der Teppichherstellung. In Russland und Europa waren diese hochwertigen Erzeugnisse sehr beliebt, vor allem bei Hofe und beim Klerus. Einige Maler der Renaissance verewigten diese „höfischen“ Teppiche in ihren Bildern.

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Auch das gibt es in Aserbaidschan: Teppich-Handyhüllen

Weitere Verarbeitung und Verkauf

Fertig gewebte Teppiche werden seit jeher vor dem Verkauf auf der Straße ausgelegt, in Form getreten und vor dem Verkauf gewaschen. Die Qualität eines Teppichs erkennt man unter anderem daran, dass er sich von selbst wieder abrollt, wenn man ihn aufrollt. Traditionell wurden Teppiche nicht auf Fußböden gelegt, sondern als Isolierung an die Wände gehängt.

Lətif Kərimov

Es ist dem 1906 geborenen und 1991 verstorbenen Teppichweber, Wissenschaftler, Künstler und Buchautor Lətif Kərimov zu verdanken, dass die Teppichkunst Aserbaidschans wissenschaftlich erfasst und somit nachfolgenden Generationen erschlossen werden konnte. Als Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR verfasste er eine Enzyklopädie mit allen aserbaidschanischen Teppichknüpftechniken, Farben und Ornamenten, die sich je nach Region voneinander unterscheiden. Kərimov gründete 1967 in Baku das weltweit erste Teppichmuseum. Der umfangreiche Bestand mit über 10.000 Teppichen aus mehreren Jahrhunderten war zunächst in der Juma-Moschee in der Altstadt und nach 1992 im Museumszentrum, einem neoklassizistischen Prachtbau am Bulwar (der Uferstraße am Kaspischen Meer), zu bewundern. Seit 2014 befindet sich diese einzigartige Sammlung in einem futuristischen neuen Museum am anderen Ende des Bulwar.

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Das Teppichmuseum in Baku

Der österreichische Architekt Franz Janz entwarf einen länglichen Korpus in Form dreier übereinander aufgerollter Teppiche mit einer weißen Aluminiumverkleidung, die ein ebenförmiges Muster aus achteckigen goldenen Sternen schmückt. Gold symbolisiert hier wie im Staatswappen die goldene Zukunft des Landes. Der an den Teppichseiten entstandene Raum ist auf beiden Seiten verglast und lässt genügend Licht ins Innere.

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Die Exponate wurden nach den Vorgaben des Royal Victoria and Albert Museums in London schräg gehängt bzw. gelegt, damit die kostbaren Teppiche gut konserviert bleiben. Zu dem mit modernster Technik ausgestatteten Museum gehört ein Forschungszentrum. Mit Touchscreens auf Englisch erfahrt ihr hier alles rund um die Herstellung und Herkunft der Teppiche. Ausgestellt sind auch die so genannten Gartenteppiche bzw. Teppichgärten, in deren Mitte Teiche, Bäume, Wasserläufe, Blumenbeete und Schwäne dargestellt sind. Diese Kunst wurde Anfang des 6. Jahrhunderts in Persien entwickelt. Das imposanteste Beispiel war ein 600 Quadratmeter großer legendärer Teppich mit der Bezeichnung „Der Frühling Chosraus“, der dem damaligen persischen Großkönig Chosrau aus dem Geschlecht der Sassaniden die Wintermonate erträglicher machen sollte. Er unternahm auf ihm Spaziergänge.

Im 20. Jahrhundert wurden auf Bestellung auch Menschengestalten oder Porträts in Teppiche gewebt und somit ein neues Genre begründet. In dem Zusammenhang sind die drei zu einem Tryptichon gehörenden Exemplare im Teppichmuseum zu nennen, auf denen der Jungfrauenturm, eine Ölpipeline und der Feuertempel Atəşgah zu sehen sind. Als Vorlage dienten drei Gemälde des aus Baku stammenden Künstlers Tahir Salahov, der mit diesem Zyklus seine Heimat, das Land des Feuers, feiert.

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„Doubts“ (2020) von Faig Ahmed (Das Bild ist Eigentum von Faig Ahmed Studio. Wir danken für die freundliche Abdruckgenehmigung)

Der Teppichflüsterer Faig Ahmed

Wer Teppiche für eine überholte Kunstform hält, hat die surrealistischen, die Form sprengenden, verpixelten Webereien des bekanntesten zeitgenössischen aserbaidschanischen Teppichkünstlers Faig Ahmed noch nicht gesehen. Der mit seinen Kunstwerken mittlerweile in Museen auf allen fünf Kontinenten vertretene bildende Künstler aus Baku wurde 1982 geboren und revolutioniert gerade den Orientteppich. Er lässt sich von Sufi-Ästhetik inspirieren, hebelt die Schwerkraft aus und entwirft 3D-Teppiche.

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„Speech of the Birds“ (2016) von Faig Ahmed (Das Bild ist Eigentum von Faig Ahmed Studio. Wir danken für die freundliche Abdruckgenehmigung)

Ahmed sieht sie als Passepartout, um Vergangenheit und Zukunft, Tradition und Moderne miteinander zu verbinden. Er integriert visuelle Verzerrungen, eingewebte Ölspuren oder aus der Textur aufsteigende Prismen in seine Teppiche. Meist zerfließt die traditionelle Ornamentik in alle Richtungen, er arbeitet mit optischen Täuschungen und entwirft seine Kreationen am Computer. Sein neuester Streich heißt „Doubts“. Dabei handelt es sich um einen Wandteppich, der de facto auf den Boden fließt und dabei Muster und Form verändert. Sein Entwurf „Die Sprache der Vögel“ mit der für Teppiche ungewöhnlichen Farbe himmelblau zeigt filigrane Bäume mit Vögeln und mündet unten in ein riesiges Wollbüschel. Einige seiner famosen Kunstwerke sind auch im Teppichmuseum zu sehen. Mehr Infos zum Künstler findet ihr hier.

Gibt es Fliegende Teppiche wirklich?

Faig Ahmeds Teppiche können vieles, aber fliegen tun sie nicht. Überhaupt gehört der durch die Lüfte schwebende Orientteppich zu der Art von übernatürlichen Fluggeräten, die vornehmlich in Europa mit orientalischen Märchen assoziiert werden. Der fliegende Teppich gilt als Symbol der Reise um die Welt, in der Literatur hat es ihn schon in biblischen Zeiten gegeben. In den Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht kommen einige fliegende Teppiche vor.

In der Geschichte „Aladin und die Wunderlampe“ fliegt lediglich ein Bett. Auch in dem Film „Die Abenteuer des Prinzen Ahmed“ ist ein magischer Teppich zwar ein universelles Transportmittel, er kann aber nicht fliegen, sondern wird teleportiert. Und doch kommt der Fliegende Teppich auch in anderen literarischen Kontexten und Kulturen vor, beispielsweise in der russischen Saga „Baba Yaga“, in „Asterix im Morgenland“ oder bei Mark Twain, in der Erzählung „Kapitän Stormfields Besuch im Himmel“.

In der persischen Mythologie besaß König Salomon ein magisches Knüpfwerk, das ihm die Königin von Saba geschenkt hatte und das einen allmächtigen Blick von oben ermöglichte. Auf dem Seidenteppich fand sein ganzer Palast Platz. So konnte Salomon morgens in Syrien losfliegen und abends in Afghanistan landen. Zur Verbreitung des Mythos des überirdischen Transportmittels, das den Weg zu einem unerreichbaren Himmelsschloss weist, hat jedoch vor allem Hollywood in den 1920er Jahren beigetragen. Seither ist der durch die Lüfte wirbelnde Orientteppich im kognitiven Gedächtnis verankert und führt als Sinnbild für orientalisch-romantisierende Superkräfte in unserer Fantasie ein Eigenleben.

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Heike Maria Johenning ist studierte Übersetzerin und Romanistin. Seit 1996 arbeitet sie als freiberufliche Autorin und Übersetzerin. Sie hat zahlreiche Reise- und Architekturführer veröffentlich, die bei Reise Know-How und dom Publishers erschienen sind. In ihren Büchern beleuchtet sie ein im Westen nahezu unbekanntes Phänomen, den Jugendstil in Osteuropa. Derzeit arbeitet sie an einem neuen Titel zur „Jugendstil-Architektur in Berlin“.

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