Stepan Rasin – Ein Kosake, der den Zaren das Fürchten lehrte

Heute stellen wir euch mit Stepan Rasin einen unerschrockenen Kosaken vor, der zeitweise weite Teile Südrusslands kontrollierte und zum Volkshelden wurde.

Inhaltsverzeichnis

Heute wollen wir euch Stepan „Stenka“ Rasin vorstellen. Rasin gelang es, sich gegen den Zaren und die Adligen an der Wolga aufzulehnen, weite Teile Südrusslands zu kontrollieren und im heutigen Kasachstan und Iran für Angst und Schrecken zu sorgen. Der Aufstieg von Stenka Rasin (der oft auch mit „z“ geschrieben wird) mündete in den größten Aufstand des 17. Jh. in Russland, der oft auch als Bauernkrieg bezeichnet wird. Stenka Razin wurde zur Legende und zu einem russischen Robin Hood. In der Sowjetzeit spielte der Rasin-Mythos eine wichtige Rolle. Es gibt also genügend Gründe, sich Stepan Rasin genauer anzuschauen. Wir stellen ihn, sein Leben und den Mythos vor und zeigen, welche Orte in Russland mit Stepan Razin in Verbindung stehen.

Die Donkosaken

Die Kosaken waren freie Reiterverbände, die in den südlichen Steppen Osteuropas lebten und sich vor allem aus russischen, ukrainischen und russischen Leibeigenen speisten. Sie lebten unter anderen am Dnepr, an der Wolga und am Don und wurden schnell zum Mythos. Das freie, vermeintlich unbeschwerte Leben eines Kosaken zog neben geflüchteten Leibeigenen auch viele Abenteurer an, wodurch die Kosakenverbände in der Vormoderne immer größer wurden. Ihr Verhältnis zur Zentralmacht war ambivalent. Mal lehnten sich die Kosaken gegen ihre Herrscher auf, mal übernahmen sie die Funktion einer Art freien Armee, zum Beispiel um ein Vordringen des Osmanischen Reiches und der mit ihm verbündeten muslimischen Tataren zu verhindern.

Die zahlenmäßig größte Gruppe unter den Kosaken waren die Donkosaken. Wie der Name schon sagt lebten sie am Don im Südwesten Russlands, einem Strom der heute nur wenige Kilometer östlich der russisch-ukrainischen Grenze verläuft und dann ins Asowsche Meer mündet, ein Nebenmeer des Schwarzen Meeres. An der Spitze der Donkosaken stand ein sogenannter Ataman (im Westen auch als Hetman bekannt). Im Lauf der Zeit nahmen die Donkosaken im Zarenreich eine herausragende Stellung ein und waren unter anderem an der Kolonisation Sibiriens beteiligt, kämpften gegen Napoleon. Heute wollen wir uns aber ein Kapitel anschauen, in dem das Verhältnis zwischen Zentralmacht und Donkosaken alles andere als gut war.

Russland im 17. Jahrhundert

Das 17. Jahrhundert markierte in der russischen Geschichte eine Zeit des Chaos, die auch „Zeit der Wirren“ oder „Smuta“ genannt wird. 1598 war Fjodor I., der letzte Zar aus der Dynastie der Rurikiden kinderlos verstorben. Die folgenden Jahre waren geprägt von insgesamt fünf Herrschern auf dem Zarenthron und der zeitweiligen Einnahme und Besetzung Moskaus durch polnische Truppen. Es sollte bis 1613 dauern, ehe die Romanows die Macht endgültig an sich reißen konnten und eine Herrscherdynastie begründeten. Ihre ersten beiden Vertreter Michail und Alexei verfolgten eine Politik der Zentralisierung der Macht auf Moskau. Alexei I. sollte das Land über 30 Jahre lang regieren.

Stabilisierung, Kriege und Reformen

Aber die folgenden Jahre waren dennoch kaum ruhiger als die vorherigen. Durch Kriege gegen Schweden, Polen und muslimische Tataren blutete das Land immer weiter aus und den Bauern wurden hohe Abgaben aufgezwungen. Nachdem es in Moskau, Tomsk, Pskow und Nowgorod zu kleineren und größeren Aufständen gekommen war, führte Zar Alexei das Sobornoje Uloschenije ein, eine Art Grundgesetz, das noch bis ins 19. Jahrhundert Bestand haben sollte und unter anderem die Wiedereinführung der Leibeigenschaft mit sich brachte. Auf dieser gesetzlichen Grundlage aufbauend, expandierte das Zarenreich immer weiter, unter anderem konnten Polen im Westen Kiew und Smolensk abgeronnen werden. Auch im Osten expandierte das Reich immer weiter, die Eroberung Sibiriens fällt genau in jene Zeit.

Die Altgläubigen

Alexeis Herrschaft führte aber auch dazu, dass sich die russisch-orthodoxe Kirche spaltete. Die sogenannten Altgläubigen akzeptierten einen Reformkatalog der Kirche nicht und wurden daraufhin verfolgt. Viele Menschen flohen ins Donaudelta (wo deren Nachkommen heute noch leben) oder in den Süden des Reiches, wo die Herrschaft des Zaren noch nicht etabliert war und dieser auf die Kosaken als Schutzmacht setzte. Und genau diese gegen den Zar eingestellten Altgläubigen sollten später zu einem wesentlichen Faktor im Kampf Rasins um Russlands Süden werden. Nicht nur sie, sondern auch viele andere Bauern zogen in den „Wilden Süden“, um sich der Kontrolle durch den Zentralstaat zu entziehen und ein freies Leben zu führen.

Stepan Rasin und sein Aufstieg

Über die historische Person Stenka Rasin und sein frühes Leben ist nur wenig bekannt. Das ist für jene Zeit mit der üblichen dürftigen Quellenlage nicht unüblich, aber insofern erwähnenswert, dass der Rasin-Mythos so noch größere Züge annehmen konnte. Seine Eltern stammten aus der Nähe von Woronesch in Südrussland. Insbesondere über die Herkunft von Stenka Rasins Mutter herrscht Unklarheit, möglicherweise war sie Ukrainerin oder Türkin. Erstmals in den Quellen erwähnt wurde der vermutlich 1630 geborene Rasin 1652, als er eine Pilgerreise ins weit entfernte Solowezki-Kloster unternahm.

Erste Beutezüge

Zunächst verläuft sich Rasins Spur dann, 1661 unternahm er aber eine diplomatische Mission, die ihn zu den Kalmyken führte, dem einzigen buddhistischen und mongolischsprachigen Volk Europas, das auch heute noch im Süden Russlands lebt (Lenins Vater beispielsweise war Kalmyke). Erst sechs Jahre später wird Razin wieder in einem Dokument erwähnt, als er zusammen mit anderen Kosaken plötzlich an der Wolga auftaucht und dort als Wegelagerer eine Art Zoll von Schiffen erpresste, die die Wolga entlangfuhren. Ein solches Vorgehen war für einen Kosaken nicht unüblich, Raubzüge, Überfälle auf Adlige und reiche Kaufleute waren durchaus an der Tagesordnung. Etwa zur selben Zeit wurde Razins Bruder Iwan als Deserteur von der Zentralmacht hingerichtet, was Stepans Verhältnis zum Zarentum nachhaltig gestört haben dürfte.

Razin stieg in der Folge immer weiter auf und durch die katastrophalen Lebensumstände auf dem Land schlossen sich ihm immer mehr Bauern an.

Gemälde „Stepan Razin auf der Wolga“ von Boris Kustodiew aus dem Jahr 1910

Stenka Razin und der Raubzug der Donkosaken

Nun sah Razin seine große Stunde gekommen und ihm gelang ein erster Coup, die Zerstörung eines großen Konvois, der aus reichen Kaufleuten und Militärs bestand und zahlreiche Schätze hätte nach Moskau bringen sollen. Mit reicher Beute und einigen Schiffen ausgestattet, fuhr Stenka Rasin nun mit 35 Schiffen die Wolga entlang. Der mächtigste Strom Russlands war durch zahlreiche Festungen gesichert, die Razins Kosaken im Sturm einnehmen konnten. Er wurde von vielen als Befreier gefeiert, der die russischen Adligen (die Bojaren) bekämpfte und erhielt immer mehr Zulauf. Folgende Worte soll Stenka Rasin damals gesagt haben:

Ich werde euch nicht zwingen, euch mir anzuschließen, aber wer sich entscheidet, mit mir zu kommen, wird ein freier Kosake sein. Ich bin gekommen, um gegen die Bojaren und die reichen Herren zu kämpfen. Die armen und einfachen Leute aber werde ich wie Brüder behandeln.

Der Zar bekam aber mittlerweile Wind von Stepan Rasins Tour, deren Ziel das Kaspische Meer war. Andrej Unkowsky, der Gouverneur von Zarizyn (dem späteren Stalingrad und heutigen Wolgograd), hatte sich in der Stadt verschanzt und verweigerte Rasin das Betreten von Zarizyn. Verhandlungsversuche scheiterten, da Razin drohte, die Stadt dem Erdboden gleichzumachen, und so konnte er unbehelligt an der wichtigen russischen Festung vorbeifahren. Nun gelang ihm einer seiner größten Streiche: Nachdem er das Kaspische Meer erreicht hatte, fuhr er entlang des Ural-Flusses ins heutige Kasachstan und nahm die Stadt Jaizk (heute Oral) ein, indem er sich als Pilger tarnte und seinen Truppen die Stadttore öffnete, sobald er im Innern der Stadt angelangt war.

Überwinterung in Kasachstan

Die Einnahme von Jaizk, wo sich viele Truppen und Teile der Stadtbevölkerung anschlossen, war deshalb so wichtig, weil er nun ein Winterquartiert weitab der Truppen des Zaren bezogen hatte. Hier blieb Stepan Rasin bis zum Frühjahr 1668. Dann begab er sich auf seinen größten Raubzug, der in unter anderem nach Persien führte und 18 Monate dauern sollte. Er ließ nur einen kleinen Teil seiner Männer in Jaizk zurück, weshalb die Stadt in seiner Abwesenheit von zarentreuen Truppen eingenommen werden konnte.

Die Reise nach Persien

Rasin zog es nun nach Süden. Zunächst gelang es ihm nicht, eine Festung im heutigen Dagestan einzunehmen, weshalb er seine Reise ins heutige Aserbaidschan fortsetzte und den Hafen von Baku auf der damals persisch kontrollierten Abşeron-Halbinsel einnahm. Razin reiste nun tief ins Innere Persiens an den Hof des Schahs in Isfahan und bat den Schah um Land im Gegenzug für Loyalität gegenüber den Persern. Er hatte wohl erkannt, dass er in Russland als „Staatsfein Nr. 1“ keine Zukunft mehr haben würde. Warum es zu keiner Einigung mit dem Schah kam, ist nicht überliefert, Stepan Razin jedenfalls machte Kehrt und zog wieder zum Kaspischen Meer, an dessen Ostseite er mehrere turkmenische Dörfer plünderte.

Rückkehr nach Russland

Dem Schah war das Treiben Razins mittlerweile zu bunt geworden und er entsandte seine Flotte, um dem aufmüpfigen Kosaken das Handwerk zu legen. Razin aber gelang es, einen Teil der Flotte zu kapern, er hatte den Höhepunkt seiner Macht erreicht. Dann kam es zu einer seltsamen Wende. Wohl aus Angst vor weiteren Bauern, die sich den Kosaken anschließen würden, begnadigte der Zar Razin und dieser fuhr nach Astrachan, Russlands Tor zum Kaspischen Meer an der unteren Wolga.

Der Aufstand

Anstatt seine Reise in heimische Gewässer am Don fortzusetzen, nahm er aber Tscherkassk, ein bedeutendes Zentrum der Kosaken, und vor allem Zaryzin ein, das heutige Wolgograd. Im Juni 1679 erreichte der mittlerweile wieder umgekehrte Stenka Razin Astrachan, plünderte die reiche Handelsstadt und tötete alle, die sich ihm in den Weg stellten. Er erklärte Astrachan zur Kosakenrepublik und schmiedete den tollkühnen Plan, zunächst alle Städte an der Wolga und dann Moskau einzunehmen. Zumindest im Falle von Saratow und Samara gelang dies, dann aber kam Rasins Zug zum Stoppen und er wurde vertrieben. Razin aber hatte da schon Gesandte ausgesandt, die in Nischnij Nowgorod, Welikij Nowgorod und in anderen Städten zur Revolution aufriefen und den Bewohnern eine freie Kosakenrepublik versprachen.

Dieses Gemälde des zeitgenössischen Historienmalers Sergei Kirillov zeigt Stepan Rasin auf dem Weg zu seiner Hinrichtung. Im Hintergrund ist die Moskauer Basiliuskathedrale zu sehen. (Quelle: Sergei Kirillov, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)

Das Ende von Stenka Rasin

Razins Stern aber war endgültig gesunken, die meisten Versuche, das Volk für seine Ideen zu gewinnen, scheiterten bald. Die Donkosaken verstießen ihn und immer mehr Städte stellten sich auf die Seite des Zaren. Sie taten dies wohl auch, weil die zaristischen Truppen keine Gnade kannten und ebenso brutal und rücksichtslos vorgingen wie Razins Männer, es kam zu mehreren Massakern. Schließlich waren es die Kosaken selbst, die Stenka Rasin in der Feste Kagalnik gefangen nahmen. Razin wurde den Truppen des Zaren überstellt und am 6.6.1671 öffentlichkeitswirksam auf dem Roten Platz gevierteilt. Seine Legende aber sollte bis heute weiterleben.

Stenka Razin und seine Rolle in der Sowjetunion

In den Anfangsjahren der Sowjetunion wurden Stepan Rasin und andere Kosakenführer, die gegen den Zaren aufbegehrten, verklärt und propagandistisch genutzt. Sie wurde als ideale Vorbilder für einen Aufstand des Volkes gegen die zaristischen Unterdrücker angesehen. Mit ihren idealen einer freien Gesellschaft waren sie ideal geeignet, um die eigenen Machenschaften in eine lange Tradition von Aufständen zu setzen. Später nahm das Interesse an Stenka Rasin etwas ab. Ohnehin war es schwierig, sich zu sehr mit den Kosaken zu identifizieren. Schließlich hatten sich diese im Bürgerkrieg, der auf die Oktoberrevolution folgte, aktiv gegen die Bolschewiki gestellt. Hinzu kommt, dass Rasin eher gegen die Adligen als gegen den Zaren kämpfte und diesen bei seiner Hinrichtung sogar noch um Entschuldigung gebeten hatte.

Stepan Rasin in der Kunst

Nichtsdestotrotz wurden unzählige Schriften zu Rasin verfasst und besonders in der Musik fand das Razin-Motiv Anklang, wenngleich es auch vor der Machtübernahme durch die Kommunisten schon viele Volkslieder gab, die über Stenka Razin gesungen wurden. So wurde Razin 1908 in einem der ersten russischen Kurzfilme thematisiert, hier ging es um eine Episode, in der er eine persische Prinzessin aus Dank für reiche Beute in der Wolga ertränkte (mittlerweile zweifeln Historiker aber, dass es eine solche Episode tatsächlich gegeben hat).

Das Lied „Von jenseits der bewaldeten Insel“ („Iz-za ostrowa na streschen“) aus dem Film war schon Jahre vorher bekannt und ist auch heute noch eines der bekanntesten Volkslieder in Russland. Es wurde seitdem unzählige Male neu interpretiert, auch im Westen. Einer der bekanntesten Sänger, der es aufführte, war Ivan Rebroff. Der berühmteste Künstler, der sich mit Razin beschäftigte, war aber Dmitri Schostakowitsch, der in seinem Opus 119 („Die Hinrichtung von Stepan Rasin) die letzten Augenblicke im Leben des berühmten Kosakenführers thematisierte.

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Markus Bingel hat lange in Polen, der Ukraine und Russland studiert und gearbeitet. Als Reisebuchautor zieht es ihn mehrmals im Jahr in die Länder des „Wild East“ – und noch immer ist er jedes Mal fasziniert von dieser Region. Als Co-Gründer des Blogs möchte er euch gerne die unbekannten, spannenden und immer wieder überraschenden Seiten Osteuropas vorstellen.

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